Karl Ernst Osthaus hätte seine Freude. Der Hagener Museumsgründer, Kunstsammler und Mäzen war ein Fan der Avantgarde seiner Zeit, und das war der Expressionismus mit der Künstlergruppe „Brücke“ und den Künstlern im Umfeld des „Blauen Reiter“. Ein Berater war der Maler Christian Rohlfs, der 1901 von Osthaus nach Hagen geholt worden war. Aber die Sammlung von Karl Ernst Osthaus wurde nach seinem Tod 1921 nach Essen abgezogen, wo das Folkwang Museum gegründet worden war. Das Museum in Hagen machte bald danach unruhige Zeiten durch. Es geriet unter den Einfluss der NS-Diktatur und musste mehrmals den Standort wechseln. 1955 konnte das ursprüngliche Jugendstilgebäude als Museum zurückerworben werden; dort fand eine fortschrittliche Ausstellungspolitik statt, etwa mit Rudolf Belling und Josef Albers. Zugleich wurde eine eigene Expressionismus-Sammlung auf der Grundlage des verbliebenen Bestandes aufgebaut. Im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte erhielt das Museum Schenkungen von Bürgern der Stadt. Schließlich vermachte Paul Vogt, ein Nachfahre von Christian Rohlfs, dem Osthaus Museum mit Tayfun Belgin, der seit 2007 sein Direktor ist, ein bedeutendes Konvolut dieses Künstlers.
Ausschnitte der Hagener Expressionisten-Sammlung sind üblicherweise in den beiden Gemäldesälen im Altbau ausgestellt, derzeit aber bespielt sie das Erdgeschoss des Neubaus. Nun können auch Papierarbeiten gezeigt werden, darunter ganze Abteilungen mit Blättern von Käthe Kollwitz und Alfred Kubin. Anlass für diese grandiose, dabei punktgenaue und gelassene Präsentation ist die Heimkehr der Bilder: Seit 2015 waren sie auf Tournee durch Europa, die erste Ausstellung fand unter dem Namen „Farbenrausch“ im Leopold-Museum in Wien statt. Ob man daheim, in Hagen, mitbekommen hat, wie damit Werbung für die Stadt und sein Museum gemacht wurde? Jetzt kann man also sehen, wie bedeutend die Sammlung ist. Die Meisterwerke der Dresdner Künstlergruppe „Brücke“ hängen in der großen Halle. An der Seite finden sich Otto Muellers pastellfarben stoffliche „Badende“. Die Gliedmaßen sind gelängt, in den Biegungen spitz; die beiden nackten Mädchen in der Natur repräsentieren unterschiedliche Charaktere. Ähnliches gilt für die Porträts der „Brücke“-Künstler, und gerade hier besitzt Hagen Meisterwerke: Auf Ernst Ludwig Kirchners Bildnis seines Künstlerfreundes Erich Heckel antwortet dieser einige Jahre später mit „Der Freund (Roquairol)“ und meint eben Kirchner: In beiden Fällen sehen wir Charakterköpfe mit schmalen, asketischen Gliedmaßen. Aber während Heckel in die Öffentlichkeit auszuschreiten scheint, zieht sich Kirchner in die Natur zurück.
Die Künstler aus dem Umfeld des Münchner „Blauen Reiter“ mit u.a. Kandinsky, Marc, Macke, Münter und Nolde sind in der Neuen Galerie vertreten. Wunderbar ist die Gruppe der Jawlensky-Arbeiten, die seinen Weg vom Realismus zur äußersten Verknappung beschreiben. Die kristallinen Geometrien von Feininger sind gleich daneben. All diese Werke sind nicht nur anschaulich lehrreich und lassen ihre Zeit lebendig werden, sondern sie zeigen nebenbei den Reichtum der Farben und was Malerei alles vermag: Wunderbar!
Expressionisten. Aus der Sammlung | voraussichtlich geschlossen bis 19.4. | Osthaus Museum Hagen | 02331 207 31 38
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