Nix ist mit Klappern und Tosen. In dem kleinen Betriebsgebäude summt es bloß ein bisschen. Nicht mal so groß wie eine Doppelgarage ist dieser Raum, der eigentlich nur einen blauen Generator und die anthrazitfarbene Turbine enthält. „Am 8. Mai 1945 war der letzte Weltkrieg in Deutschland zu Ende, am 20. Mai hat man diese Maschine aufgestellt“, sagt ihr Eigner Dr. Bernd Walters. „Mit Geld ist die damals bestimmt nicht bezahlt worden.“ Der Briloner Mediziner hat sie einem Bauern für 100 Euro abgekauft, überholt und in Brilon-Hoppecke wieder aufgestellt. Sein kleines Wasserkraftwerk leistet beachtliche 70 kW und sichert die Stromversorgung von gut 100 Familienhaushalten.
Wasserkraft war in Deutschland einst die dominierende Energiequelle. Selbst vor 100 Jahren gab es hierzulande noch 70.000 kleine und große Anlagen – ein Zehntel ist geblieben und davon wiederum etwa 500 Anlagen in NRW. Die haben zusammen mit 220 MW Kapazität nicht mal halb so viel Leistung wie ein konventionelles Steinkohlekraftwerk. Aber dafür laufen sie im Schnitt 4.000 Betriebsstunden im Jahr. Ein Windrad kalkuliert man mit 1.800 Volllaststunden.
Betrieben und in Schuss gehalten, manchmal auch neu gebaut, werden die kleinen und größeren Wasserkraftanlagen durch öffentliche und private Eigner. Stadtwerke sind darunter oder die „Lister- und Lennekraftwerke GmbH“ als Tochter des Ruhrverbandes: Auf ihre Kappe geht beispielsweise ein Neubau am Kemnader See in Bochum. Und da sind noch jene im positiven Sinne „Verrückten“ wie Bernd Walters. In der Arztpraxis ist er nur noch halbtags, die restliche Zeit verschlingen Betrieb und Reparatur seiner „Schätzchen“. Er besitzt mittlerweile sechs, an 13 weiteren Wasserkraftwerken ist Walters beteiligt. Die „Westfalenpost“ nannte ihn „Energiemogul“, was hochtrabender klingt, als sich die Realität darstellt. Aber aus diesen 19 Anlagen fließen pro Jahr 35 Millionen Kilowattstunden Ökostrom ins Netz – genug saubere Energie für 10.000 Familien.
Berühmt geworden ist Walters’ Übernahme des Kraftwerks Wickede/Ruhr, wo seit 1948 eine mannshohe Siemens-Turbine zuverlässig ihre Arbeit verrichtet. Das Modell daneben – von Brown Boveri Mannheim gefertigt – stammt sogar aus dem Jahr 1912. Damit produzierte das Wickeder Mannesmann-Röhrenwerk einst zwei Drittel seines Strombedarfs. Nach der Übernahme durch Vodafone schien den neuen Konzernherren die Anlage entbehrlich. Walters griff mit einem Freund zu: „Wie kann man so etwas aus der Hand geben? Da hat einer wieder nur sehr kurzfristig gedacht.“ Neben dem nicht unbeträchtlichen Erlös für 4,5 Millionen eingespeiste Kilowattstunden begeistert sich der Mediziner für die Oldtimer-Technik. Da sei nicht bloß immer noch der erste Lack drauf, schwärmt er, die Ersatzteile könne ein guter Schlosser auch heute noch herstellen.
Das Ausbaupotenzial der Wasserkraft in NRW schätzt Walters auf gut ein Drittel der aktuellen Kapazitäten. Ähnlich sieht es die rot-grüne Landesregierung. Via Koalitionsvertrag schrieb man fest, in allen sechs Regierungsbezirken „modellhaft mindestens eine neue Referenzanlage mit modernster Technologie“ zu errichten. In der Praxis stellen sich inzwischen aber wortstarke Gegner auf: BUND und manchem Funktionär in den Fischereiverbänden sind Wasserkraftanlagen ein heftiges Ärgernis. Den einen stehen sie beim Rückbau zu ökologischen Flusslandschaften im Wege, die anderen reklamieren, dass insbesondere Turbinen den Fischen gefährlich werden.
So haben die Kosten etwa für Fischtreppen manchen Projektetat beträchtlich aufgebläht, andere Wasserkraftanlagen gleich verhindert: „Wir haben’s für das Bochumer Oelbachtal von allen Seiten durchgerechnet“, sagt etwa Markus Rüdel, Sprecher des Essener Ruhrverbandes. „Die Stelle ist geeignet, die Wasser-Fallhöhe reicht aus. Aber die Mehrkosten wären unverhältnismäßig.“
Inzwischen machen sich auch Widersacher in den Genehmigungsbehörden bemerkbar. Juristisch flankiert durch die EU-Gewässerschutz-Richtlinie werden nach Erkenntnis der „Interessengemeinschaft Wassernutzung NRW“ diverse Instrumente genutzt, um Eigner alter, eigentlich unantastbarer Wasserrechte zur Aufgabe zu verleiten: Standsicherheitsnachweise, Fundamentstärken, Vermessungsauflagen – manchmal soll sogar mit Geldbündeln gewunken worden sein. Was so verschwindet, kommt nie mehr wieder.
Und was der Verfassungsschutz kann, können Mitarbeiter der Arnsberger Bezirksregierung schon lange. Zusammen mit den Stadtwerken Iserlohn verfolgte der Wasserkraft-Doktor den Plan, eine ruhende Anlage in Plettenberg wieder in Betrieb zu nehmen. Beim Gespräch im Büro von Regierungspräsident Bollermann (SPD) beichtete dann der Hausjurist, dass man das alte Wasserrecht drei Wochen vorher gelöscht habe. Tatsächlich können solche Rechte, wenn sie drei Jahre nicht genutzt wurden, von der Genehmigungsbehörde eingezogen werden. Müssen sie freilich nicht, und schon gar nicht, wenn neue Nutzungspläne und Vorarbeiten bekannt geworden sind. „Dem Bollermann ist die Kinnlade runtergefallen“, nahm Walters als prägenden Gesprächseindruck mit. „Seine Leute haben ihn richtig ausgetrickst.“
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