Ein frohes neues Jahr. Entspannung am Abend vor dem Flachbildschirm, erquickend und labernd wie immer. Die neuesten Waffengattungen hier, die letzte Informationslücke über den Führer dort. Wie war sein letzter Stuhlgang? Ein ehemaliger SS-Stabsoffizier weiß eben alles. Drohnen für den Frieden und Miniatur-Schnellfeuerwaffen für den US-Kindergartenmarkt. Deutschland ist ein Militaristenland geblieben, wenn auch die beliebte Heftreihe „Der Landser“ gerade eingestellt wird. Die Leser sterben eben einfach weg. Erinnerungskultur nannte man das Jahrzehnte lang, bei mir erinnerte sich sogar der Polizeipräsident nach 23 Jahren an meine Signalpistole fürs Segeln. Nachweis über einen Waffenschrank, zack, zack. Trotz Altersdemenz und geriatrischer Frühfolgen – an Waffen und Kriege erinnern wir uns immer gern, egal wie lang die Zeiträume auch sind.
100 Jahre sind für eine Eintagsfliege fast die Unendlichkeit. Auch für Menschen übersteigt die Hektode meist die Lebenszeit. Dennoch erinnern wir uns oft an wichtige Ereignisse, die genau diese Zeitspanne zurückliegen. 2014 dabei ist ein ganz besonderes Jahr – vor einem Jahrhundert begann der erbärmliche Erste Weltkrieg, zerstörte den noch holperigen Weg in die Moderne und dazu eine ganze Generation junger Männer, die von steifen Kragen und goldenen Monokeln in die verschlammten Gräben geschickt wurden und dazu noch Freudengesänge anstimmten. Und dies alles ist es wert ein ganzes Jahr lang Aufhänger für Ausstellungen, Diskurse, Theater, Kongresse und weiß der Himmel was noch – an Guido Knopp will ich da gar nicht erst denken, mit seinen Geheimnissen des Zweiten Weltkriegs und den Geheimnissen des „Dritten Reichs“, den Geheimnissen um Hitlers Frauen und den Geheimnissen um seine Unterwäsche. Den ersten Weltkrieg „Weltenbrand“ haben seine Geschichtsreporter auch schon aufgearbeitet – in Farbe!
Obwohl es damals so etwas an der Front noch gar nicht gab, doch der Meister der kriegerischen Erinnerungskultur dachte wohl das Senfgas müsste eben schön gelb sein, wohl damit das Röcheln richtig rüberkommt. Der erste Einsatz von Senfgas erfolgte am 12. Juli 1917 durch deutsche Truppen, taktisches Ziel war, die deutsche Ausgangslage für den erwarteten britischen Angriff bei Ypern zu verbessern. Ja wir sind schon ein pfiffiges kriegerisches Völkchen. Warum aber ausgerechnet diese Kriege, die ja bis heute nicht nur nicht aufgehört, sondern auch immer menschenverachtender geworden sind, immer und immer wieder zur Unterhaltung in die Wohnzimmer gepumpt werden, ist mir schleierhaft. Erinnerungskultur zur Verhinderung solcher Auseinandersetzungen? Dazu ist unsere Verstrickung in alle Kriege, die momentan stattfinden zu groß.
Und 2014 hat wesentlich mehr zu bieten. Neben den Megaveranstaltungen Fußball-WM in Brasilien und Kommunalwahl in NRW wird im Sommer die Sonde Rosetta den kleinen Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko erreichen und dort versuchen den 100 kg schweren Lander Philae abzusetzen. Der soll dann Experimente starten über die Beschaffenheit des Kometen. Ach das wussten Sie nicht? Komisch. Ich geh´ jetzt mal meinen Waffenschrank fotografieren.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Nicht alles glauben!
Wahlkampf NRW: Kampagne der Landesanstalt für Medien NRW – Spezial 09/25
Protest gegen Wucher
Online-Gespräch zur Geschichte der Berliner Mietenbewegung – Spezial 08/25
Die Vergangenheit ruhen lassen?
Vortrag über die Essener Justiz nach der NS-Zeit im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Spezial 08/25
Das Ende des Weltmarkts?
Online-Vortrag zur deutschen Wirtschaftspolitik – Spezial 07/25
Der deutschen Identität entkommen
Verleihung des taz Panter-Preises in Bochum – Spezial 07/25
Schuld und Sadismus
Diskussion am KWI Essen über Lust an der Gewalt – Spezial 07/25
Hab’ ich recht?
Diskussion über Identität und Wissen im KWI Essen – Spezial 06/25
Die Rechte erzählt sich gerne was
Diskussion über rechte Ideologie und Strategie im KWI Essen – Spezial 06/25
Kriegstüchtig und friedfertig
Diskussion über europäische Sicherheitspolitik in Dortmund – Spezial 06/25
Im Spiegel der Geschichte
Die Ausstellung „Die Rosenburg“ im Bochumer Fritz Bauer Forum – Spezial 06/25
Ein Leuchtturm für Demokratie und Menschenrechte
Eröffnung des Bochumer Fritz Bauer Forums – Spezial 06/25
Das Internet entgiften
Workshop zu Hassrede in der VHS Essen – Spezial 05/25
Auslöschen der Geschichte
Diskussion über Erinnerungskultur in Argentinien im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Spezial 04/25
Mythos des Widerstands
Die Lesung „Das deutsche Alibi“ in Bochum – Spezial 04/25
Klasse der Marginalisierten
Vortrag über Armut in der VHS Essen – Spezial 03/25
Neue Bündnisse, alte Krisen
Online-Diskussion „Wie weiter nach der Bundestagswahl?“ – Spezial 02/25
Deckeln gegen die Mietbelastung
Online-Diskussion „Sind die Mieten noch zu bremsen?“ – Spezial 01/25
Was erreicht worden ist
Warum Nostalgie auch in die Zukunft weist – Spezial 01/25
Ehrung für ein Ruhrgebiets-Quartett
Verleihung des Brost-Ruhr-Preises 2024 in Bochum – Spezial 11/24
Klimaschutz = Menschenschutz
„Menschenrechte in der Klimakrise“ in Bochum – Spezial 11/24
Digitalisierung 2.0
Vortrag über KI in der VHS Essen – Spezial 10/24
Minimal bis crossmedial
Rekorde und Trends auf der Spiel Essen – Spezial 10/24
KI, eine monströse Muse
12. Kulturkonferenz Ruhr in Essen – Spezial 09/24
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Wem gehört die Ökosphäre?
Seminar „Die Rechte der Natur“ in der VHS Dortmund – Spezial 05/24