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„Caspar Hauser“
Foto: Thilo Beu

Ein Individuum ist purer Luxus

22. Dezember 2015

„Caspar Hauser“ in Essener Studio – Theater Ruhr 01/16

Was ist der Reiz, immer wieder diese Geschichte erzählen zu müssen? Weil es einem Caspar Hauser heute nicht anders ergehen würde? Das Geschöpf, erst einmal unfähig die Reize der Umwelt zu deuten, später das Wesen seiner ihn umgebende Gutbürger zu durchschauen? Es gibt einen Satz in der Theaterversion nach dem historischen Roman von Jakob Wassermann von 1908: „In der Nacht sitzt das Finstere auf der Lampe und brüllt.“ Dieser von Angst gesteuerte Satz ist stärker als die ganzen sozialpädagogischen Kastrationsversuche, aus dem mythischen Menschen Caspar ein reflexgesteuertes Menschlein zu machen. Dies jedenfalls wird auch in der Inszenierung von Jana Milena Polasek und Stefanie Grau (Bühne) ziemlich offensichtlich, wo der fast hybride Junge immer umringt wird von den dreifaltigen Teuflischen, die angeblich stets das Gute wollen, jedoch wohl immer das Böse schaffen.

Eine mächtig in der Stille präsente Silvia Weiskopf als Caspar steht ihnen entgegen, behauptet sich, entdeckt die Welt und seine Mutter. Und wenn es allzu stressig wird, dann setzt sie sich einfach hin unter den Scheinwerfer, der wie eine Brutlampe für Küken wirkt. Derweil rieseln unaufhörlich Schneeflocken vom Himmel und die Herren und Damen „Leerkräfte“ von Staatsrat von Feuerbach über Lord Stanhope, Professor Daumer und am Ende Lehrer Quandt und Frau von Imhoff (Ines Krug, Jens Winterstein und Stefan Diekmann spielen alle anderen Rollen und den Erzähler) strömen aus der einzigen Öffnung an der Rückwand. Ein karger Baum, ein flacher Teich und viel Grau sind die Umgebung, in die die beiden Theaterfrauen die Geschichte verorten. Keine Zeit, kein Platz, keine Gegend, eben nur ein Ort, an dem jeder für sich und Gott gegen alle kämpft. Aber Besitz will Caspar eben nicht sein und bleibt doch immer Objekt, bis zu seinem Ende. Der „Du“ hat ihn einst auf den Weg geschickt, die Gesellschaft hat ihn verstoßen, am Ende verblutet er kläglich im Schnee: Eine Existenz ohne Vergangenheit hat zwangsläufig auch keine Zukunft. Aber nur weil Mächte, deren Existenz uns bis heute fremd ist, zusätzlich hinter der ganzen Tragödie ihr Unwesen treiben.

„Caspar Hauser“ | R: Jana Milena Polasek | Fr 8.1., Sa 30.1. 19 Uhr | Schauspiel Essen: Casa | 0201 812 26 00

PETER ORTMANN

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