Manchmal flattern Werbezettel in den Briefkasten, die eine Welt zeigen, die der Aufgeklärte fast verdrängt hat. Überall geht es um Pimpen, Tunen, Maskerade. Menschen tun einiges, um den eigentlichen Wert eines einfachen Gegenstandes zu verschleiern, zu erhöhen oder wenigstens optisch außergewöhnlich erscheinen zu lassen. Dabei schrecken sie nicht vor Kosten zurück, die, sofort besser angelegt, gleich einen höherwertigeren Besitz möglich gemacht hätten, nun aber eher Kosten im Gulli darstellen. Der tatsächliche Betrag spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle: Manche versenken im Sickerschacht 100 Euro für Pinsel und Farbe, andere wie die Kulturhauptstadt eben 100 Millionen Euro.
Hier fühlte man sich versetzt in die Kindheit. In die Augsburger Puppenkiste. In die Wüste „Ende der Welt“. Schon bei der EU-Bewerbung damals war das Label ein Scheinriese, wie Herr Tur Tur, der aus der Entfernung riesig, bei genauerem Hinsehen aber schnurznormal war. Er endet als Leuchtturm für Lummerland, die Kultur im Revier endet in der Bedeutungslosigkeit: Die beste Platzierung der Ruhrgebietsstädte im Vergleich der 30 größten deutschen Städte beim „Kulturstädteranking“ des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) erreicht Vertreterstadt Essen mit dem 13. Platz, vor Köln, ist ja klar, aber lustigerweise auch weit hinter Münster. Die Nachbarn Bochum und Dortmund findet man auf den Plätzen 22 und 26, dahinter noch Gelsenkirchen und Duisburg, ganz am Ende das Schlusslicht Wuppertal.
Dennoch wird gepimpt, getuned, maskiert. Erste Reaktion aus dem Regionalverband Ruhr, der Städtevertretung der Ruhrkommunen: „Im Ganzen betrachtet, braucht die Kulturmetropole Ruhr den Vergleich mit anderen Kulturregionen nicht zu scheuen“, sagt Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel. Die Kulturmetropole Ruhr beziehe ihre Stärke vor allem aus der Vernetzung der 53 Städte im Ruhrgebiet. Nur so habe die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 erfolgreich wirken können. Genau. Besser wäre noch gewesen, man hätte die einzelnen Platzierungen zusammengezählt. Dann hätten wir gemeinsam die meisten Punkte gehabt. Ist doch auch was. Mich bewegt Münster auf Rang sieben. Vor Hamburg und Düsseldorf gelandet, und das, ohne Kulturhauptstadt gewesen zu sein. Ist Fahrradfahren etwa auch ein kultureller Akt, oder ist diese Studie auch nur Maskerade für Investitionen in die eben größten Metropolen Deutschlands?
Mein erstes Auto war ein damals schon alter Käfer, Baujahr 1967. Geknicktes Weiß, blaue Haube, rotes Innenleben. Natürlich bekam er breitere Reifen (155er, grins), einen kurzen Rallye-Gangschaltungshebel (nur angeschraubt) und natürlich diverse Zusatzinstrumente (billig), die zwar nichts Wesentliches anzeigten, aber eben diesen sportlichen Touch hatten. Irgendwie war man immer auf der Jagd nach optischer Verbesserung. Einen Porschemotor für den Kleinen konnte ich mir ja auch nicht leisten. Irgendwie ist es mir damals gegangen wie der Kultur heute – die hat wohl auch ein besseres Antriebsaggregat nötig.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Nicht alles glauben!
Wahlkampf NRW: Kampagne der Landesanstalt für Medien NRW – Spezial 09/25
Protest gegen Wucher
Online-Gespräch zur Geschichte der Berliner Mietenbewegung – Spezial 08/25
Die Vergangenheit ruhen lassen?
Vortrag über die Essener Justiz nach der NS-Zeit im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Spezial 08/25
Das Ende des Weltmarkts?
Online-Vortrag zur deutschen Wirtschaftspolitik – Spezial 07/25
Der deutschen Identität entkommen
Verleihung des taz Panter-Preises in Bochum – Spezial 07/25
Schuld und Sadismus
Diskussion am KWI Essen über Lust an der Gewalt – Spezial 07/25
Hab’ ich recht?
Diskussion über Identität und Wissen im KWI Essen – Spezial 06/25
Die Rechte erzählt sich gerne was
Diskussion über rechte Ideologie und Strategie im KWI Essen – Spezial 06/25
Kriegstüchtig und friedfertig
Diskussion über europäische Sicherheitspolitik in Dortmund – Spezial 06/25
Im Spiegel der Geschichte
Die Ausstellung „Die Rosenburg“ im Bochumer Fritz Bauer Forum – Spezial 06/25
Ein Leuchtturm für Demokratie und Menschenrechte
Eröffnung des Bochumer Fritz Bauer Forums – Spezial 06/25
Das Internet entgiften
Workshop zu Hassrede in der VHS Essen – Spezial 05/25
Auslöschen der Geschichte
Diskussion über Erinnerungskultur in Argentinien im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Spezial 04/25
Mythos des Widerstands
Die Lesung „Das deutsche Alibi“ in Bochum – Spezial 04/25
Klasse der Marginalisierten
Vortrag über Armut in der VHS Essen – Spezial 03/25
Neue Bündnisse, alte Krisen
Online-Diskussion „Wie weiter nach der Bundestagswahl?“ – Spezial 02/25
Deckeln gegen die Mietbelastung
Online-Diskussion „Sind die Mieten noch zu bremsen?“ – Spezial 01/25
Was erreicht worden ist
Warum Nostalgie auch in die Zukunft weist – Spezial 01/25
Ehrung für ein Ruhrgebiets-Quartett
Verleihung des Brost-Ruhr-Preises 2024 in Bochum – Spezial 11/24
Klimaschutz = Menschenschutz
„Menschenrechte in der Klimakrise“ in Bochum – Spezial 11/24
Digitalisierung 2.0
Vortrag über KI in der VHS Essen – Spezial 10/24
Minimal bis crossmedial
Rekorde und Trends auf der Spiel Essen – Spezial 10/24
KI, eine monströse Muse
12. Kulturkonferenz Ruhr in Essen – Spezial 09/24
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Wem gehört die Ökosphäre?
Seminar „Die Rechte der Natur“ in der VHS Dortmund – Spezial 05/24