Sie lassen sich musikalisch nicht in Schubladen stecken – mit dem Label Alternative-Rock, das ihnen zeitweise angeheftet wird, sind sie nur sehr unzureichend beschrieben. De Staat sind so etwas wie die musikalische Entsprechung der in den Niederlanden beliebten Indonesischen Rijsttafel, die eine Vielzahl von Häppchen und Geschmacksexplosionen bietet. Da ist ein Schälchen Blues und ein Schälchen Rap, ein Schälchen Hardrock und ein Schälchen Techno. Eine Prise Gitarrenriff krönt ein algensalatartiges Elektronikgeplänkel. Und noch ein kulinarischer Vergleich drängt sich auf: Manchmal gleichen De Staat auch den typisch niederländischen Bitterballen: Man weiß nicht so recht, was da alles unter der frittierten Kruste steckt (und will es vielleicht auch gar nicht wissen), aber das Ergebnis macht süchtig.
Den größten Anteil an dieser süchtig machenden Wirkung hat ohne Zweifel Mastermind und Sänger Torre Florim. De Staat startete 2006 als Ein-Mann-Projekt des Genies aus Nijmegen. Er schrieb und produzierte das gesamte Debütalbum als Abschlussprojekt seines Musikproduktionsstudiums an der Utrecht School of Arts. Mit Unterstützung von Vedran Mircetic (Leadgitarre), Jop van Summeren (Bass und Gesang), Rocco Bell (Tasteninstrumente und Gesang) und Tim van Delft (Drums) ist aus dem Studienprojekt eine respektable Live-Band geworden. 2016 waren De Staat in Europa Support von Muse auf deren Drones-Tour – und vor ein paar Wochen erst Support bei den Deutschland-Gigs von Biffy Clyro. Trotzdem haben sie in Deutschland immer noch Geheimtipp-Status.
Ganz anders in den Niederlanden, wo De Staat zu Recht als eine der großartigsten Live-Bands gefeiert werden. Ihre Tour in der niederländischen Heimat war schon frühzeitig restlos ausverkauft und so wundert es nicht, dass die Kennzeichen der Autos rund um das Oberhausener Resonanzwerk den Eindruck erwecken, als sei man in Venlo-Ost gelandet.
Als Support fungieren CLT DRP, ein Elektro-Punk-Trio aus Brighton. Das rumpelt und scheppert und Sängerin Annie schreit sich die Seele aus dem Leib. Das Publikum ist hier gespalten, ein nicht geringer Teil der Besucher genießt das Spektakel noch von draußen, gefiltert durch die Hallenwände. Doch die Halle füllt sich gut, je näher der Gig von De Staat rückt. Die Nebelmaschine läuft, Lichter zucken und die Band entert die Bühne. Von der ersten Sekunde an zieht Torre die Aufmerksamkeit auf sich. Er geht sofort auf Tuchfühlung mit dem Publikum, mit einem Blick, als habe man die Grinsekatze aus Alice im Wunderland in einen Anzug gezwängt und auf die Bühne geschubst.
Torre Florim ist ein begnadeter Entertainer, seine Bühnenpräsenz ist eine Mischung aus Nick Cave und Freddie Mercury – aber ohne Pathos und Glorienschein. Er gibt den Conférencier mit Augenzwinkern, eher eine Parodie auf einen Rockstar, und reißt gerade dadurch das Publikum mit. Ihm ist egal, ob seine wilden Tanzschritte auf der Bühne uncool, gar albern wirken könnten, da ist er mit einem Mal ganz nah an den legendären Blues Brothers.
Zum oft hypnotisch repetitiven Beat kann in der Halle niemand stillstehen. Das altersmäßig breit aufgestellte Publikum, dessen Spektrum von Anfang 20 bis Mitte 60 reichen dürfte, kommt rasch in Partystimmung. Die Setlist bietet einen guten Querschnitt durch die letzten elf Schaffensjahre der Band mit einem ganz leichten Schwerpunkt auf dem 2019er-Album Bubble Gum. Von „Old MacDonald Don't Have No Farm No More“ über „Blues Is Dead” bis “Head On The Block” arbeitet man sich von 2011 bis 2022 vor. Songs vom Debüt wiederum fehlen. Bei „Pikachu“ liefern sich Torre Florim und Rocco Bell einen ironischen Dance-Battle mitten im Publikum. Unbestreitbarer Höhepunkt ist wie zu erwarten das ekstatische „Witch Doctor“, das zu einem wilden Circle Pit führt. Auch hier fällt auf, dass die vorherrschende Stimmung im Publikum die gute Laune ist. Hier wird der Pit nicht zur Kampfzone, sondern zu einem wilden Reigen grinsender Menschen aller Altersgruppen. Nach drei Zugabensongs, unter anderem dem treibenden „Kitty Kitty“, verabschiedet sich Torre mit den Worten „We are De Staat – Don’t forget to have fun!“
Sinn für Humor hilft dann auch dabei, über die äußerst fragwürdige Getränkeregelung im Resonanzwerk hinwegzusehen: Hier muss man an der Theke Verzehrgutscheine in Staffelungen von je 5 Euro kaufen. Ein Bier kostet 3,50 Euro, Restbeträge werden nicht erstattet. Ein Schelm, wer hinter diesen Beträgen Methode vermutet.
Nachtrag des Autors:
Zu der Kritik an den Verzehrgutscheinen äußert sich das Resonanzwerk wie folgt:
„Bei uns kannst Du:
1. Die Beträge beim nächsten Konzert wieder benutzen - das geht natürlich nur wenn Du öfter da bist
2. Den Restbetrag bar zahlen - Wenn Du also noch 2 Euro auf der Karte hast, kannst Du einfach den fehlenden Betrag bar drauf legen
3. Du kannst den Restbetrag natürlich mit anderen Karten kombinieren
4. Du kannst ein kleineres Bier nehmen - das soll heißen wenn Du z.b. nur noch 2€ Guthaben hast und ein Bier sonst 3,5€ kostet, kannst Du auch ein Bier für 2 Euro bekommen, also eine kleinere Portion.“
Vor diesem Hintergrund ist die im Konzertbericht geäußerte Kritik so nicht gerechtfertigt. Lediglich die Kommunikation darüber, wie das Verzehrgutschein-System funktioniert, könnte verbessert werden, mittels Informationen in der Halle und auf den Verzehrkarten selbst.
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