Das Konzert in Dortmund ist auch eine kleine Premiere: Clueso feiert sein zehnjähriges Jubiläum. Eine Zeitspanne, in der sich der Künstler beständig weiter entwickelte. Während sein erstes Album „Text und Ton“ noch Hip-Hop-lastig mit einer guten Portion Reggae daher kommt, mausert sich Clueso binnen sechs Alben schließlich zum Singer-Songwriter, der sich auch vor Elektro-Einlagen nicht scheut. Der Erfurter Geheimtipp avanciert zum national erfolgreichem Chartphänomen mit radiokompatiblen Hits.
Mit seiner Ohrwurm-Nummer „Keinen Zentimeter“ eröffnet er das Konzert und bringt die 15.000 „Cluesoten“ auf Betriebstemperatur. Hits wie „Beinah“ oder „Straßen sind leer“ vom aktuellen Album „An und für sich“ leisten ein Übriges. Aber auch das nachdenklich stimmende „Bleib hier“ oder die tanzbare Nummer „Out of Space“ vom Album „Weit weg“ sorgen für Begeisterungsstürme beim Publikum. Die dicht gedrängten Fans vor der Bühne schütteln ihr Gesicht aus und tanzen, tanzen, tanzen.
Ein Kompliment
Die Lichteffekte sind sparsamer arrangiert als auf seiner Tournee, die ein feines Konglomerat aus Unterwasser- und Weltraumfahrten bot. Manchmal ist weniger aber auch mehr. Seichte Lichtspiele legen den Blick auf das Wesentliche frei, die Konzentration auf Musik und Künstler bietet besonders den weiblichen Fans einen Hochgenuss für Augen und Ohren. Wer keinen Platz in den ersten Reihen ergatterte, bestaunt Clueso kurzerhand auf zwei neben der Bühne montierten Großleinwänden.
Clueso, der über sich selbst sagt, dass er die meiste Kraft aus seiner ständigen Unruhe beziehe, sprintet auch im Scheinwerferlicht von einer Ecke in die andere. Und wenn er nicht gerade sprintet oder singt, sagt er Sätze wie: „Ich bin total geflasht“, oder „Wo sind die Arme?“ Diese erheben sich sodann und wiegen sich im Takt seiner Songs. In ihnen thematisiert er oftmals die Spanne zwischen „gehen oder bleiben“, sei es, weil eine Beziehung zerbricht oder weil sich seine Heimatstadt Erfurt, als viel liebenswerter erweist als landläufig angenommen. „Ich habe zwar schon ein paar Konzerte gespielt, aber jetzt gerade fühlt es sich an, wie auf dem Gipfel“, macht er seinen Zuhörern ein Kompliment.
Unglaubliche Experimentierfreude
Eine unglaubliche Experimentierfreude zeichnet den Thüringer aus, wenn er seine Songs in ein neues Klanggewand packt. Das sonst so melodiöse und flotte „Mitnehm“ wirkt im Reggae Sound viel beflissener. Mit „Ey der Regen“, einer vertonten Hommage an Max Herre, grüßt er den gleichnamigen Künstler, das mit Udo Lindenberg im Duet gesungene „Cello“ würzt er mit jeder Menge Lokalkolorit: „... und heute wohnst du in Dortmund."
„Es ist Wahnsinn. Jetzt habe ich die zweite Strophe vergessen. Scheiße“, gibt sich Clueso unbefangen, als ihm während „Zu schnell vorbei“ plötzlich die Worte fehlen. Nach kurzer Zeit, die seine Band mit einer knackigen Instrumentaleinlage überbrückt, lacht er erleichtert auf, singt weiter – das Publikum applaudiert. Als kleines Dankeschön rappt er eine Freestyle-Strophe und beweist einmal mehr seine kreative Ader: „Manchmal frage ich mich, wie so was passiert, ich vergess´ ´ne Strophe und hab´s nicht kapiert.“
Ungekünstelt, menschlich, bodenständig
uf den Gesichtern der Fans brandet ein Lächeln, der kleine Fauxpas längst verziehen. Gibt es doch nur wenige Künstler, die so derart ungekünstelt, menschlich und bodenständig daher kommen wie der Junge aus Erfurt. Auch Publikumsnähe ängstigt ihn nicht. „Ich möchte mich mit euch allen unterhalten, aber ich kann immer nur fragen und ihr antwortet.“ Über erhobene Arme erfährt er, dass ein Großteil der Anwesenden nicht aus Dortmund kommt, sondern extra angereist ist. „Das ist das größte Solo-Konzert, das es je gab. Das ist echt abgefahren. Herzlichen Dank“, sagt der sichtlich gerührte Clueso.
Frei von Starallüren, dafür aber mit einer wahnsinnigen Spielfreude gesegnet, dreht er in gewohnter Clueso-Manier mit dem ersten Zugaben-Set noch einmal richtig auf. „Gewinner“ wird von einer La-Ola-Welle eingeleitet, es folgt sein Hit „Chicago“, den gefühlt 10.000 Anwesende mitsingen. Aber auch alte Schätzchen wie „Vergessen ist so leicht“ vom zweiten Album „Gute Musik“ verfehlen ihre Wirkung nicht. Er und seine Band präsentieren so einen Parforceritt quer durch alle Alben und zeigen die komplette Bandbreite ihres künstlerischen Schaffens. Rund zweieinhalb Stunden und unzählige Songs später hat der Zauber ein Ende. Schön war´s im Dortmunder Westfalenpark aber viel „zu schnell vorbei“ - wie eigentlich bei jedem Auftritt des Erfurters.
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