Für seine Ausstellung im Museum Küppersmühle hat Andreas Gursky einen Werküberblick konzipiert, der auf einige seiner bekanntesten Bilder verzichtet: Und es funktioniert trotzdem! Es zeigt, wie komplex alle seine Fotoarbeiten sind und wie konstant das Werk über die ikonischen Aufnahmen hinaus Darstellungen umfasst, die Aussagen über unser Leben treffen. Einige Bilder des berühmten Fotografen, der, 1955 in Leipzig geboren, in der Düsseldorfer Akademieklasse von Bernd Becher studiert hat, sind in der Küppersmühle zum ersten Mal zu sehen.
Die Ausstellung, die chronologisch mit der kleinformatigen Aufnahme eines Gasherdes 1980 und besonders Ansichten des Ruhrgebietes beginnt, wechselt anschließend zwischen den Jahren, Werkgruppen und Formaten. Assoziativ stellen sich Zusammenhänge ein, klären sich Vorgehensweisen und schärfen das Bewusstsein für das, worum es Gursky grundsätzlich geht und worauf er seine Aufmerksamkeit richtet. Das sind die globale Wirtschaft, politische Strukturen und die Ökologie und der Umgang des Menschen mit den Ressourcen der Natur. Aber weder dokumentiert, noch illustriert er – stattdessen formt er Bilder, die eine ästhetische Aussage haben und als Komposition funktionieren. Die das eine Mal naturalistisch und das andere Mal abstrakt wirken und unseren Standpunkt herausfordern.
Bekannt wurde Andreas Gursky mit riesengroßen Farbfotografien, die, teils digital bearbeitet, atemberaubend schöne Ansichten in unerwarteten Perspektiven zeigen, die ihre Sujets überblicken und auch aus der Nähe eine Genauigkeit in brillanter Schärfe besitzen. Gursky hat sich dem Konsumrausch ebenso wie den neuen Tempeln der Massenunterhaltung zugewandt. Er fotografiert Konzernzentralen und Orte des Waren- und Geldaustauschs und des Transits, die unsere Mobilität und das Verhalten unserer Zivilisation offenlegen. Gursky nimmt die Position des sachlich Überschauenden ein, hält aber auch – in ihrer Unordnung ordnend – die Prozesse selbst fest, die gemeinhin verborgen bleiben.
In der Ausstellung in der Küppersmühle sind Bilder zu sehen, die die futuristisch gestylte Welt von Apple und das Verteilzentrum von Amazon zeigen, aber auch die von Scheinwerferlicht beleuchtete Erde bei Nacht oder ein Kreuzfahrtschiff im Gegenüber. Aus dem Wasser gehoben, links und rechts angeschnitten, vermittelt das Bild mit seinen seriellen Kabinen eine enorme Künstlichkeit, als handle es sich um ein Modell, als könne es das ja gar nicht geben – als Hinweis auf die Touristendampfer mit ihrer immensen Umweltverschmutzung.
Anonym, abweisend wirkt hingegen in der Ausstellung die Industriefassade mit dem Schriftzug „Bauhaus“, die das Bildfeld dominiert und die Kälte und Macht der Konzerne befragt, die unseren Konsum anstacheln. Daneben hängt ein Bild, das einen Schweinestall zeigt, bei dem die Tiere im Stroh erst allmählich zu erkennen sind. Die analoge Aufnahme und seine digitale Bearbeitung vermitteln die Empathie, die Gursky für die so beseelten Tiere empfunden hat. Also, wer Gursky wegen Gursky erwartet, wird nicht enttäuscht. Aber die Ausstellung, so unzusammenhängend sie zunächst erscheint, bietet viel mehr.
Andreas Gursky | bis 30.1.22 | Museum Küppersmühle, Duisburg | 0203 30 19 48 11
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Klima-Archäologie
Ausstellung im Depot Dortmund
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Fotografie im Ausnahmezustand
„Size Matters“ im Kunstpalast
Ausweitung des Spektrums
Absolvent:innen der Folkwang-Uni
Sehen und Hören
„Hipgnosis“ in der Ludwiggalerie
Kunstvolle Stahlarbeiten
„work comes out of work“ in Bochum – Kunstwandel 01/24
Futter fürs Bildgedächtnis
Pixelprojekt-Neuaufnahmen in Gelsenkirchen – Ruhrkunst 08/23
Weltreise digital
Daniela Comani im Museum Folkwang – Ruhrkunst 04/23
Steinewerfer auf der Leiter
Barbara Klemm in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Kunstwandel 03/23
Blicke hinter die Abwasserrinne
„Beyond Emscher“ in der Kokerei Zollverein – Kunstwandel 09/22
Identitäten auf dem einen Planeten
Fotografischer Blick auf die afrikanische Welt – Kunstwandel 09/22
„Die Realitäten haben sich verändert“
Die Kuratorinnen Özlem Arslan und Eva Busch über die Ausstellung zur Kemnade International in Bochum – Sammlung 04/24
Utopie und Verwüstung
„The Paradise Machine“ in Dortmund – Ruhrkunst 04/24
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
„Das kann einem einen kalten Schauer bringen“
Direktor Tayfun Belgin über die Gottfried Helnwein-Ausstellung im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 04/24
Spuren und Ahnungen
Stefan Müller und Viola Relle im Dialog in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 04/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24
Keine Illusionen
Wolf D. Harhammer im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 03/24
„KI erlaubt uns einen Einblick in ein kollektives Unbewusstes“
Kuratorin Inke Arns über Niklas Goldbachs „The Paradise Machine“ im Dortmunder HMKV – Sammlung 03/24
Unter unseren Füßen
Archäologie der Moderne im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/24
Auf und mit der Oberfläche
Wilhelm Wessel im Emil Schumacher Museum in Hagen – kunst & gut 02/24
Diplomatie kreativ
Ingo Günther im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 02/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24