Aus der Ferne sieht es schlimm aus – oder aber wie eine märchenhafte entrückte Szenerie. In eine fast unsichtbare stereometrische Konstruktion aus vertikalen Nylonfäden sind die Präparate von Wildtieren oder Vögeln eingelassen. Zu sehen sind dramatische Situationen zwischen Leben und Tod, die in ihrer Dynamik an Filmstills erinnern, welche hier wieder ins Dreidimensionale übersetzt sind … Mit solchen plastischen Bildern der Vergänglichkeit hat Claire Morgan, die 1980 in Belfast geboren wurde und heute in London lebt, in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt: Motivisch, weil Tiere im Ausstellungsraum nicht erwartet und sowieso kaum noch in unserer Zivilisation thematisiert werden, und weil die Darstellung ihres Todes nicht schockhaft, aber doch erstaunlich ist. Inhaltlich, weil die Zerstörung unserer Umwelt drastisch, im Verweis auf das schiere Leben demonstriert wird. Überhaupt: Realität ist hier durch Realität dargestellt.
Vögel scheinen mit brachialem Tempo die Fäden zu zerreißen, sie haben sich im Kubus wie in einem Netz verfangen und verenden hier, panisch flatternd. Oder zwei kopfüber stürzende Krähen sind ineinander verkrallt. Eine gescheckte Hauskatze sitzt auf der Erde, über ihr schwebt bedrohlich eine türkisblau leuchtende Kugel aus lauter Plastikfetzen. Dabei sind die Arrangements präzise organisiert, die Fäden umreißen wie ein Rahmen einen unberührbaren Raum, teils sind die Ensembles unter einer Vitrine geschützt – der Betrachter bleibt auf Abstand. Claire Morgan schafft superästhetische, zugleich ätherische Bilder, die, wie in Bernstein gegossen, Zeugnis von möglichen Geschehnissen ablegen. Zu sehen sind Fallbeispiele, für die Gegenwart konserviert. Das Naturkundemuseum mit seinen harmlos didaktischen Rekonstruktionen ausgestorbener Gattungen hat ausgedient.
Beim Nähertreten ist noch etwas Weiteres zu erkennen: Die Knotenpunkte der Nylonfäden bestehen aus Blütensamen oder aber Hunderten von Frucht- oder Schmeißfliegen. Sie glänzen wie Perlen im Licht, Ekel und Schönheit halten sich die Waage. Bei neueren Installationen arbeitet Morgan schließlich mit farbigen Fetzen von Kunststoffverpackungen: Diese Schönheit ist giftig und repräsentiert unseren unbedachten Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Grundlage der Arbeiten von Morgan sind verendete, teils von ihr selbst präparierte Tiere, und mit ihrem künstlerischen Engagement bringt sie ihre Sympathie mit den Tieren, aber auch ihre Sorge um den ökologischen Zustand der Welt zum Ausdruck. Dazu konfrontiert sie die organische Erscheinung der Schöpfung mit einer konstruktiven Struktur. Dahinter steht noch die Frage, wie mit traditionellen skulpturalen Mitteln eine derart brisante Thematik in heutiger Zeit verdeutlicht werden kann. Schwerkraft wird demonstriert und zugleich überwunden. Masse und Volumen treffen auf Leichtigkeit und die Linie. Eine wichtige Rolle spielen zudem die Titel, sie zitieren aus der Kulturgeschichte bis zur Gegenwart und bringen mitunter ein humoristisches Element in den Ernst der Lage.
Ganz in der Nähe, im Museum Ostwall im Dortmunder U findet derzeit übrigens die Ausstellung „Arche Noah“ zum Verhältnis von Mensch und Tier in der Kunst statt, die – so wichtig sie ist – Claire Morgan nicht berücksichtigt hat. Dafür zeigt nun das Osthaus Museum in Hagen als erstes deutsches Museum ihre Plastiken und Zeichnungen in einer Einzelausstellung. Hier passt die Schau besonders hin. Denn Tayfun Belgin als Direktor klopft regelmäßig das Potential realistischer Darstellung in der zeitgenössischen Kunst ab. So gesehen macht es Sinn, dass er parallel dazu die fotorealistischen Bilder von Dietmar Gross ausstellt, die auch Menschen zeigen, deren Gesichtspartien malerisch repetiert sind. Das lässt an Klone denken, und auch hier liegen deutliche Zeichen für die Gefährdung des Lebens vor.
„Claire Morgan – Try Again. Fail Again. Fail Better“ | bis 11.1. | Osthaus Museum in Hagen | 02331 207 31 38
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