Und sie stehen da wirklich! Plastikschafe auf toter Erde, verzweifelter Deko-Versuch vor dem düsteren Industriemoloch, weit weg, in China. Wir werden wohl nur durch unmögliche Zufälle selber an den verseuchten Ort kommen, den Greenpeace-Fotograf Lu Guang für uns auf Bild gebannt hat, aber es gibt ihn, das Foto ist Beweis – das zumindest ist die Aura, der wir uns unweigerlich hingeben, wenn wir über die Fotos der World Press Photo-Ausstellung staunen, die noch bis zum 21.6. im Depot Dortmund ausgestellt sind.
Dass das Unfug ist, weiß jeder medienaffine Mensch: Vom echten Geschehen, was auch immer das sein mag, über die Auswahl des Blickwinkels, durch die technische Apparatur und heutzutage auch die digitale Bearbeitung bis zum beweisenden Bild in Zeitung oder Ausstellung ist es ein weiter Weg. Trotzdem: Die Echtheit des vom Foto Bezeugten muss garantiert sein – wie man am Eklat um den italienischen Fotografen Giovanni Troilo sehen kann: Der wurde von der World Press Photo Foundation, die hinter der Ausstellung und dem dazugehörigen Preis steht, nämlich disqualifiziert. Denn seine Fotos über Prostitution in belgischen Vororten waren gestellt: Eine intime Szene auf der Rückbank eines hübsch ausgeleuchteten Autos zeigt nicht irgendeinen Freier, sondern seinen Cousin, die gesamte Szene ist arrangiert.
Was für eine Ironie, dass das Gewinnerfoto dieses Jahres, vom Niederländer Mads Nissen, ausgerechnet eine echte Liebesszene zeigt: Zwischen zwei Männern in St.Petersburg – gedimmtes Licht, nackte Haut und ganz viel politische Sprengkraft. Aber ist dieses Foto unverfälscht, wenn man es ganz genau nimmt? Lieben sich zwei Männer vor der Kamera genau so, wie allein im heimischen Schlafzimmer – vor allen Dingen wenn sie vielleicht ahnen, dass dieses Foto ihre Körper zum Symbol für die unterdrückte Homosexualität in ihrer Heimat werden lässt? Höchstwahrscheinlich nicht.
Aber die Aura der Beweiskraft, manchmal überwältigt sie den Betrachter doch. Zum Beispiel bei den Fotos von Glenna Gordon, die die Entführung nigerianischer Schülerinnen durch die islamistische Boko Haram dokumentiert. Ihre Fotos zeigen kein Leid, keine Gewalt, lediglich alte Schulhefte, Kleidungsstücke und Accessoires, die einst den Opfern gehört hatten. Oder Sergej Ilnitskys Fotos aus Donezk, die weniger das direkte Kampfgeschehen zeigen, als kleine Betrachtungen am Rande des Wahnsinns: Etwas Blut in der Gardine, ein Glassplitter im Obsttablett auf einem Esstisch irgendwo im Osten der Ukraine – ein unheimliches Stillleben.
Ein Beweis im strengsten Sinne, das ist ein Foto schon lange nicht mehr, vermutlich war es das auch nie. In jedem Fall sind die im Depot ausgestellten Fotos aber Symbole, die die großen Geschichten des vergangenen Jahres auf das Format eines Bildes komprimieren. Und das funktioniert.
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