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Der Regisseur (Dominik Hertrich als James) und seine Wunschschauspielerin (Alexandra Schlösser als Olivia/Amy)
Foto: glassbooth

„Wir sind eine sehr kleine Nische im Underground“

01. Juni 2013

Jens Dornheim, Chef der Theatertruppe „glassbooth“, über seine Inszenierung von Mark Ravenhills „Das Produkt“ – Premiere 06/13

Um die Wunschbesetzung für sein neuestes Filmprojekt zu gewinnen, erzählt der Produzent James der Schauspielerin Olivia den Plot des Drehbuches: Die Geschäftsfrau Amy, deren Freund beim Anschlag auf das World Trade Center starb, verliebt sich auf einer ihrer Flugreisen in den attraktiven Terroristen Mohammed. Er löst ihre Orgasmusblockade und zieht in ihr Penthouse ein, das damit zur Planungszentrale der Al-Qaida wird. „Bridget Jones goes Jihad“ ist die Formel, mit der Mark Ravenhill sein Stück auf den Punkt bringt. Und das derb-dreiste, mit Unverschämtheiten gespickte Gegenwartsstück hält auch eine Lehre bereit: „Der Zuschauer soll irgendwann bemerken, dass er diesen schrecklichen Film, von dem da geredet wird, wirklich sehen will“, wünscht sich der Autor. In seiner achten Produktion macht das Theater „glassbooth“ in der Inszenierung des satirischen Stückes „das Produkt“ einen weiteren Schritt in der Synthese favorisierter Motive: fein sezierte Gesellschaftskritik im unterhaltsamen Gewand. Mit der Produktion von Ravenhills Stück feiert „glassbooth“ auch sein 10-jähriges Bestehen, Jens Dornheim inszeniert sein erstes „Produkt“.

trailer: Herr Dornheim, zum Jubiläum ein bisschen Terror – ist das auch ein Statement?
Jens Dornheim: Na ja, zumindest ist es ein Augenzwinkern. So ist das bei uns ja immer. Das heißt, die Stücke sind nie reine Provokation, sondern es ist immer auch ein bisschen das verschmitzte Lächeln dabei.

„glassbooth“ gibt es seit 10 Jahren. Das soll gleichzeitig Abschluss und Neubeginn sein?

Jens Dornheim
Foto: glassbooth
Geboren in Dortmund, aufgewachsen in Gladbeck, studierte Jens Dornheim an der Universität Duisburg-Essen Germanistik, Anglistik und Sozialwissenschaften. Mit Gordon Stephan gründete er 2004 die Theatergruppe glassbooth, angelehnt an das von den beiden übersetzte und inszenierte Stück The Man in the Glass Booth von Robert Shaw.

Es ist insofern ein Neubeginn, dass ich ja jetzt als Regisseur debütiere. Es kann auch sein, dass das Projekt „glassbooth“ in den nächsten Jahren noch einmal andere Bahnen einschlägt. Eigentlich ist die Inszenierung von Ravenhills „Das Produkt“ eine Lösung, die aus der Not geboren worden ist. Eigentlich hätte mein Regiedebüt „Luther“ von John Osborne sein sollen, aber das musste wegen einer unwägbaren Finanzlage kurzfristig verschoben werden. Ich musste in aller Kürze ein Projekt aussuchen, das sich realisieren lässt, weil ich 2013 nicht ohne Projekt dastehen wollte. Und da ich zu dem Zeitpunkt keine Förderer mehr anschreiben konnte, musste es etwas sehr Minimalessein – auch was das Bühnenbild angeht. Da war „Das Produkt“ einfach ideal. „Luther“ wäre eine Öffnung von „glassbooth“ gewesen, wie es sie bisher noch nicht gegeben hat, und deswegen könnte es sein, dass „Das Produkt“ auch eine Art Abschluss ist. Ich will damit nicht sagen, dass es nicht auch weiterhin bösere Stoffe von „glassbooth“ geben wird. Ich weiß, was ich mit der Gruppe machen kann und was nicht.

Acht Stücke in zehn Jahren – haben Sie zwei Jahre lang Urlaub gemacht?
Nein. Es gab 2008 einen Wechsel, weil Gordon Stephan, mit dem zusammen ich die Gruppe gegründet habe, nach Berlin abgewandert ist. Er hatte bis dahin eigentlich immer die Regie gemacht. Ich musste also erst mal eine neue Regie suchen, zum damaligen Zeitpunkt hatte ich noch nicht das Interesse, selber Regie zu führen. Und bis ich dann die Regisseurin Eva Zitta gefunden hatte, verging einige Zeit. 2011 war es auch so, dass die Fassbinder Foundation uns nicht sofort die Rechte an „Satansbraten“ erteilt hat und wir die Produktion auf 2012 verschieben mussten.

Und warum jetzt Mark Ravenhills „Das Produkt“?
Weil das ein ganz toller Text ist, und weil es auch viele von unseren gerne behandelten Themen beinhaltet. Es ist ein böses Stück, es ist ein unverschämtes Stück, mit Seitenhieben gerade auf die Hollywood-Maschinerie, die sich die Klischees, die wir als westliche Menschen in den Köpfen haben, wenn wir an die arabische Welt denken, zunutze macht und persifliert.

Bin Laden kommt auch vor – muss der inzwischen vollbrachte Tod von Osama bin Laden berücksichtigt werden?
Darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht, ob man sich da jetzt die Freiheit nimmt, eine Zeile dazu zu schreiben. Das wollte ich dem Autor dann aber ersparen – ich bin kein Ravenhill. Nein, ich finde nicht. Osama kommt bei uns im Stück auch tatsächlich vor – er wird zwar nicht selbst auf der Bühne zu sehen sein, aber wir haben vor, filmisch etwas von ihm zu zeigen, und es wird auch eine Osama-Figur in der Inszenierung geben, denn ich finde, die Figur hat so was Mystisches an sich, dass man innerhalb des Textes von „Das Produkt“ auch noch seinen Tod behandeln muss.

Mark Ravenhill ist Vertreter der britischen Dramatik. Ist das so eins zu eins auf Deutschland übertragbar?
Da müsste man erst die Frage stellen, ob das generell bei britischen Dramatikern der Fall ist, denn das größte Problem ist die Übersetzung, und ob der englische Wortwitz so überhaupt übertragbar ist. Diese Schwierigkeit hatten wir schon öfter. Bei Robert Shaw, bei Patrick Marber. Gerade, was den englischen Sprachwitz mit seinen vielen Doppeldeutigkeiten in den einzelnen Verben angeht, die man halt verschiedenartig übersetzen kann, glaube ich, dass „Das Produkt“ ein Text ist, der auf Deutsch genauso gut funktioniert und auch übertragbar ist auf deutsche Verhältnisse. Der Film, der gedreht werden soll, spielt in England, Ravenhill hat dieses Drehbuch des Produzenten für England geschrieben. Es ist aber, wenn man den Text liest, ein eindeutig amerikanisches Drehbuch. Das könnte man sich viel eher aus Hollywood vorstellen als aus England.

Der Terror, der dort verhandelt wird, ist doch auch eher ein britisches denn ein deutsches Problem?
Nein. Der Terror, der da verhandelt wird, nimmt seinen Ursprung in 9/11. Aktuell hat man einen krassen Bezug in Boston. Also mit England hat das allein nicht zu tun. Deshalb ist das Stück auch relativ zeitlos. Dass es für immer zeitlos ist, das hoffe ich nicht.

Was ist „fein sezierte Gesellschaftskritik im unterhaltsamen Gewand“?
Das ist die Definition, unter die man die bisherigen „glassbooth“-Produktionen subsumieren kann. Manchmal war das Absurde stärker, mal mehr die Realitätsnähe. Aber in diesem Fall ist es auch wieder ein Schritt, wir haben ja zuletzt Fassbinders „Satansbraten“ als bösartige Komödie gemacht, und „Das Produkt“ wird auch wieder in diese Richtung ausschlagen, natürlich nicht in diese Volkstheaternähe wie bei Fassbinder. Man merkt schon den eindeutig britischen Charakter des Stückes.

Ist das auch eine Nische innerhalb des Freien Theaters?
Das habe ich eigentlich immer geglaubt. Deswegen mache ich diese ganze Sache. Weil ich glaube, dass wir mit „glassbooth“ eine Nische gefunden und besetzt haben. Wenn ich das rein an Zuschauerzahlen festmachen müsste, dann würde ich sagen, es ist eine sehr kleine Nische im Underground.

„Das Produkt“ I Fr 21.6. 20 Uhr (Premiere) I Theater Depot, Dortmund I 0231 98 21 20

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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