Sechs Ehen waren es, mit denen Heinrich VIII. in die Geschichte einging. Ein Herrscherbild, das später durch die Popkultur geschliffen wurde: Serien wie „Die Tudors“ inszenierten einen blutrünstigen Despoten, der die Frauen, mit denen er einst vorm Altar stand, skrupellos enthaupten ließ. Pragmatisch gründete das Staatsoberhaupt eine Anglikanische Kirche, um sich mehrmals vermählen zu lassen. Dem Vatikan gefiel das bekanntlich überhaupt nicht. Wahrscheinlich hätte der Papst auch nicht gerne der Musik gelauscht, die am Hofe von Heinrich VIII. gespielt wurde. Denn der englische Throninhaber galt als gebildeter Herrscher. Musik nutzte er gerne als politische Imagepflege.
Eine Kostprobe dieses Tudor-Sounds gab das Vocalconsort Berlin unter der Leitung des renommierten englischen Komponisten James Woods. Das Konzert fand im Rahmen der Reihe „Tage Alter Musik“ statt, die der WDR3 in Kooperation mit der Stadt Herne alljährlich organisiert.
Das Leitthema des diesjährigen Festivals war kein Quell für Heiterkeit: Die christlichen Todsünden sollten an unterschiedlichen Orten wie dem Kulturzentrum Herne musikalisch interpretiert werden. Laster wie Neid, Faulheit oder Völlerei erfahren einen kulturellen Kontext, indem sie mit Klassischer Musik vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert kontrastiert werden.
An diesem Abend bildet der Hochmut den roten Faden, mit dem jene Lieder präsentiert werden, die Anfang des 16.Jahrunderts am Hof von Heinrich VIII. angesagt waren. Etwa „Magnificat Regale“ von Robert Fayrfax oder „Psallite Felices“ von Richard Sampson. Eine Besetzung aus Sopranen, Tenören, Countertenören und Baritons interpretiert eine Auswahl in der Kreuzkirche Herne.
Komplett in schwarz gekleidet, treten die MusikerInnen auf die Bühne und schlagen eine hohe Stimmlage an. Viel versteht man jedoch nicht. Denn am Hof der Tudors wurde natürlich Latein gesungen. Wer jedoch in das umfangreiche und informative Begleitbuch des Festivals schaut, findet schnell die deutschen Übersetzungen. Und Hobby-HermeneutikerInnen entdecken in den Versen auch Hinweise, warum dieser Herrscher den Hochmut so sehr verkörperte. Sampson schreibt etwa in seiner „Psallite Felices“: „Er ist schön anzusehen, kann mit angenehmen Worten überzeugen und wird von allen gerne und rückhaltlos angenommen. Wenn er Kriege führt, bezwingt er die Feinde, denn in Waffen ist er ein Hektor. Wie das Wild vor dem Löwen fliehen seine Rivalen vor ihm.“
Für wahre Münze wird diese Beschreibungen wohl kein Musik-Fan nehmen, sie sind eher das Archiv einer Hybris, die der Macht schon damals innewohnte.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Aus Alt mach Alt
Tage Alter Musik in Herne 2024 – Klassik an der Ruhr 11/24
Mode und Stil
Tage Alter Musik 2023 in Herne – Klassik an der Ruhr 11/23
Sündenpfuhl Herne
Die Tage Alter Musik studieren das Böse – Klassik an der Ruhr 11/18
Rebellen und Revoluzzer
In Herne poltert die Alte Musik – Klassik an der Ruhr 11/17
Zu Gast mit Gästen
Die WDR Big Band in der Wuppertaler Immanuelskirche – Musik 09/25
Bis das Regime gestürzt ist
Mina Richman im Bochumer Bahnhof Langendreer – Musik 09/25
Emanzipierter Jazz
Das PENG-Festival in der Essener Zeche Carl - Musik 09/25
Brachiale Schönheit
Gaye Su Akyol in Duisburg, Suzan Köcher's Suprafon in Dortmund – Musik 09/25
Ohne Grenzen
74. Ausgabe der Konzertreihe Soundtrips NRW – Musik 09/25
Freier Dialog im Depot
Visual Sound Outdoor Festival in der Dortmunder Parzelle – Musik 08/25
Der Sound von Istanbul
Gaye Su Akyol im Landschaftspark Duisburg-Nord – Musik 08/25
Vom Tanzen träumen
Die NRW-Tour der Jazzpianisten Chris Hopkins und Ulf Johansson Werre – Musik 08/25
Das Netz der Menschenliebe
Joan As Police Woman auf dem Haldern Pop Festival – Musik 07/25
Nicht nur für Orgelfans
16. Wuppertaler Musiksommer in der Historischen Stadthalle – Musik 07/25
Klänge der Gegenwart
Konzertreihe mex im Künstlerhaus Dortmund – Musik 07/25
„Jüdische Musik in der Region verankern“
Die Leiterin der Alten Synagoge Essen, Diana Matut, zum Festival jüdischer Musik Tikwah – Interview 07/25
Impossible Dortmund
Wilco im Dortmunder JunkYard – Musik 06/25
Gegen die Stille
Das 54. Moers-Festival – Musik 06/25
Magische Momente
Cat Power im Düsseldorfer Capitol Theater – Musik 06/25
Eine große Ausnahme
Der Pianist Alexandre Kantorow in Wuppertal – Musik 06/25
Lieber ins Meer springen
Slow Leaves im Düsseldorfer Zakk – Musik 05/25
Landlocked Dortmund
Richard Thompson im Dortmunder Piano – Musik 05/25
Entgegen der Erwartung
4. stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen – Festival 04/25
Danke für alles!
Oysterband in der Bochumer Zeche – Musik 03/25
Tanzen, Schwitzen, Lächeln
Ina Forsman im Dortmunder Musiktheater Piano – Musik 03/25