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Drahtskulpturen simulieren einen Mensch-Maschine-Dialog: „The House of the Talking Heads“
Foto: © Atelier Van Lieshout

Dialoge mit Metall

22. August 2016

Symposium „Maschinenmensch und Menschmaschine“ am 20.8. bei der Ruhrtriennale – Spezial 08/16

Ist das Verhältnis Mensch-Maschine eine Liebesbeziehung? Wenn ja, wie wird sie sich entwickeln und wird es ein Happy-End geben? Wie werden Mensch und Maschine künftig verwachsen und vor welche gesellschaftlichen Herausforderungen stellt uns die exponentielle Ausweitung von Digitalisierungsprozessen und transhumanen Technologien? Vielschichtige Fragen, die die Wissenschaft alleine nicht beantworten kann, fand Intendant Johan Simons, der das Podium des Refektoriums dementsprechend divers besetzen ließ.

Das Symposium ist eigentlich auch kein klassisches Symposium, sondern entpuppt sich als feurige Symbiose aus wissenschaftlichen und künstlerischen Dialogbeiträgen. Auf Künstlerseite anwesend: Joep van Lieshout, kreativer Vater des Künstlerdorfs „The Good, the Bad and the Ugly“, und Moritz Simon Geist von „Sonic Robots“, der „Magie. Elektronische Musik ohne Elektronik.“, dafür aber mit Robotern, macht. Rationale Perspektiven vertreten die Referenten Stefan Balzer und Thomas Wagner, die sich einen kontroversen Vortragsbattle über die Potenziale und Untiefen technologisch-digitaler Entwicklungen liefern und im Anschluss eine nicht weniger spannende Debatte. Falk Garbsch vom Chaos Computer Club steuert diplomatische, aber umso nachdenklichere Beiträge bei – unter anderem zu Fragen von Datenschutz und Partizipation im virtuellen Kosmos. „Oracle“, van Lieshouts sprechende Drahtskulptur, die Anonymität und Meinungsfreiheit im digitalen Zeitalter hinterfragen soll, bleibt leider ausgeschaltet, damit sie nicht dazwischen quatscht. Schade eigentlich. Wer weiß, was sie zu sagen hätte.

Den ersten der beiden Impulsvorträge hält Stefan Balzer, Technologieoptimist und deutscher „Botschafter“ der von Ray Kurzweil gegründeten „Singularity University“. Balzer betont das Potenzial technologischer Entwicklungen für die Verbesserung der menschlichen Existenz und für die Lösung von globalen Problemen, etwa in den Bereichen Ernährung, Energie und Nachhaltigkeit. Er kritisiert zudem die Trägheit deutscher Unternehmen bei der Adaption technologischer Entwicklungsprozesse in der Robotik, Nanotechnik, Medizin, Neurowissenschaft etc.

Ästhetik des Widerstands im digitalen Zeitalter

Thomas Wagner, Kultursoziologe und Autor, äußert indes berechtigte Zweifel an Kurzweils geistiger Zurechnungsfähigkeit, kritisiert die generelle Technikeuphorie der Transhumanisten und plädiert für eine Ästhetik des Widerstands im digitalen Zeitalter. Er zeichnet das düstere Szenario einer digitalisierten Arbeitswelt, die statt mehr Freiheit und Kreativität mehr Zwänge, Überwachung und am Ende Arbeitsplatzvernichtung zur Folge haben könnte. Durch technische „Optimierung“ der Arbeitsprozesse würden die Anforderungen an die Beschäftigten soweit reduziert, dass man auf Fachkräfte nicht mehr angewiesen sei, die Position der Beschäftigten werde geschwächt, Outsourcen werde erleichtert und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend verwischt.

Harte Diskrepanzen, die die Notwendigkeit gesamtgesellschaftlicher Dialoge und Reflexionen im Umgang mit Digitalisierung und technischen Optimierungsprozessen sichtbar werden lassen, darin sind sich zum Schluss alle Beteiligten einig. Wobei, nach Kurzweil ist es ohnehin fraglich, ob wir all die schwierigen Fragen am Ende überhaupt noch selbst beantworten müssen. Seine „Singularität“ bezeichnet nämlich einen, auf das Jahr 2044 exakt datierbaren Zeitpunkt, an dem sich Technologien auf eine Weise überschneiden würden, die dem Menschen – etwa durch biotechnologische Optimierung, Nanobots und Mind-Uploading – Unsterblichkeit verheißen könnte.

Allerdings nicht nur ihm. Die exponentielle Dynamik beinhaltet nach Kurzweil nämlich auch die zwangsläufige Entstehung einer realen Künstlichen Intelligenz. Einer Maschine mit eigenem Bewusstsein, eigener Identität und dem Potenzial, sich um ein Unendliches schneller zu entwickeln, als das unsere kleinen Biogehirne zu leisten imstande sind. Hätte so eine „Maschine“ wohl noch Lust, unsere dümmlichen Fragen zur Zukunft von Mensch und Maschine zu beantworten? Man weiß es nicht.

Neben dem Refektorium finden wir „The House of the Talking Heads“, bestehend aus zwei, einen Mensch-Maschine-Dialog simulierenden Drahtskulpturen, die mit klappernden Grillzangenzungen darüber diskutieren, wer „siegen“ wird. „Alles läuft geschmeidig und nichts quietscht.“ sagt die eine. „Vielleicht sollten wir weiter gehen.“ sagt Joep van Lieshout, um das Publikum zurück ins Refektorium zu geleiten. „Gute Idee.“ sagt die andere Skulptur.

Rebecca Westkott

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