Fast bis in den letzten Winkel gefüllt ist die Lesebühnen-Ecke der Bochumer Filiale der Mayerschen Buchhandlung, als Lokalmatador Rainer Küster vor 75 Besuchern seinen 2015 im Brockmeyer Verlag erschienenen neuen Ruhrkrimi „Schuldenspiele“ vorstellt. Der Titel stelle eine Variation des Wortes ‚Spielschulden‘ dar, so der Verfasser, der zuletzt mit seinem Autorenkollegen Rüdiger Schneider in der Mayerschen las. Diesmal ist Küster jedoch allein angetreten, da sich zuweilen auch in der wirklichen Welt ominöse Dinge ereignen: „Den im November 2015 erschienenen Krimi ‚Schuldenspiele‘ habe ich allein geschrieben, da mein bisheriger Co-Autor verschwunden ist“, ist auch der Homepage des Bochumer Krimi-Autoren zu entnehmen. Doch dies soll nicht das einzige Mysterium des Abends bleiben. Ein ähnliches Thema prägt den Krimi-Plot: Nach einer umstrittenen Tell-Inszenierung am Bochumer Schauspielhaus, in der Reichsvogt Gäßler „mit einer verdreckten Kalaschnikow“ erschossen wird, verschwindet der Schweizer Hauptrollen-Darsteller Leon Steiner plötzlich spurlos.
In der Bochumer Hochwert-Gastronomie betäubt sich Steiner mit Bier, um sich nicht länger über die „schwachsinnige Inszenierung“ ärgern zu müssen. Derweil sehnt sich der als Egomane charakterisierte Hauptdarsteller, „Träger der Gustav-Gründgens-Medaille“, in die – stark romantisiert dargestellte – Schweiz zurück und verunglimpft dabei auch noch den Ort des Geschehens: „Stattdessen hielt er sich in diesem gottverlassenen Bochum auf und musste allen Leuten (…) vorlügen, wie schön es hier sei. So schön grün überall und gar nicht das Ruhrgebiet, das er erwartet hatte; so (…) lauteten die Floskeln, die er immer wieder stumpfsinnig strapazierte, wenn er mit der hiesigen Bevölkerung ins Gespräch kam.“ Doch damit nicht genug des Bochum-Bashings, das in latente Xenophobie des Protagonisten kippt: „Besonders die Sprache der Leute im Ruhrgebiet nervte ihn. Das war doch eigentlich eine linguistische Fehlentwicklung, so hart und vulgär, wie sie klang. Da war eine bäuerliche Brutalität in diesem westfälischen Idiom (…). Er wusste, dass es mal eine starke Zuwanderung aus Polen ins Ruhrgebiet gegeben hatte; vielleicht war die Qualität des Deutschen in dieser Region durch die Einwanderer aus dem Osten zusätzlich verdorben worden. Er hatte nichts gegen die Polen, aber die Mischung stimmte einfach nicht.“ Rainer Küster, neben Josef Fellsches nicht zuletzt Co-Autor des in mehreren Auflagen erschienenen Dialekt-Wörterbuchs „Bochumer Wortschätzchen“, distanziert sich während der Lesung sogleich von den Tiraden des Protagonisten gegen die hiesige „verbale Holzhackerei“…
Auf dem Heimweg wird Steiner kurz vor seiner als „Villa Wahnsinn“ bezeichneten Behausung, die ihm vom Schauspielhaus zur Verfügung gestellt wurde, von einem maskierten Unbekannten niedergeschlagen und bleibt darauf verschollen. In den Fokus der Ermittlungen gerät schließlich sein Bühnen-Antagonist, Gäßler-Darsteller Hartmut Duwe, der in seinem Stiepeler Luxus-Apartment polizeilich befragt wird. Am Ende der vor allem von jeder Menge Lokalkolorit geprägten Lesung bleiben jedoch alle Fragen offen. Literarisch impliziert Küsters neuer Krimi einen Abgesang aufs Regietheater, das mit werkverfremdenden Inszenierungen den ermittelnden Oberkommissar zu dem von Küster abschließend zitierten Kommentar veranlasst: „Diese Theaterleute haben – glaube ich – alle einen an der Waffel.“
Rainer Küster: Schuldenspiele. Ein Kriminalroman aus dem Ruhrgebiet | Brockmeyer 2015 |256 S. | 6,99 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Grab 'em by the power
Carolin Emcke mit „Ja heißt ja und...“ am 20.6. im Schauspielhaus Bochum – Literatur 06/19
Der Osten beginnt in Wattenscheid
Lesung mit Lucas Vogelsang und Joachim Król am 20.5. im Schauspielhaus Bochum – Literatur 06/19
Bindung nach der Flucht
Lesung „Hotel Dellbrück“ von Michael Göring am 12.2. im Medienforum des Bistums Essen – Literatur 02/19
Literarischer Trip
T.C. Boyle stellt seinen Roman über LSD-Papst Timothy Leary in Essen vor – Literatur 02/19
Unerhörte Parteifinanzierung
Éric Vuillard las am 8.9. im Essener Grillo-Theater aus „Die Tagesordnung“ – Literatur 09/18
Wir fürchten nicht die Tiefe
Gelsenkirchener Buchhandlung setzt auf regionale Literatur – Lesezeichen 07/18
Festung gegen Festivals
Mülheim-Saarn: Literaturperle an der Ruhr – Lesezeichen 06/18
Anekdoten nach Autoritätsverlust
Jan Weiler las am 26.4. in der Zeche Carl aus „Und ewig schläft das Pubertier“ – Literatur 05/18
Rock'n'Roll im Buchladen
Multiplikator literarischer Kultur im Duisburger Norden – Lesezeichen 05/18
Follow dem Popliteraten
Benjamin von Stuckrad-Barre las am 11.4. in der Zeche Bochum aus seinem neuen Remix-Band – Literatur 04/18
Ein Vierteljahrhundert literarische Akzente
Hammer Buchhandlung Holota feiert 25-jähriges Jubiläum – Lesezeichen 04/18
Schwerter Literaturoase
Ruhrtal-Buchhandlung belebt die Kulturszene – Lesezeichen 03/18
Magischer Realismus
Charlotte Brandi liest in Dortmund aus ihrem Debütroman „Fischtage“ – Lesung 08/25
Augen auf Entdeckungsreise
„Jetzt geht’s los!“ von Philip Waechter – Vorlesung 08/25
Düster und sinnlich
„Das hier ist nicht Miami“ von Fernanda Melchor – Textwelten 08/25
Erste Male zwischen den Welten
„Amphibium“ von Tyler Wetherall – Literatur 08/25
Die Kraft der Erinnerung
„Das Geschenk des Elefanten“ von Tanja Wenz – Vorlesung 07/25
Eine wahre Fluchtgeschichte
„Wie ein Foto unser Leben rettete“ von Maya C. Klinger & Isabel Kreitz – Vorlesung 07/25
Zart und kraftvoll zugleich
„Perlen“ von Siân Hughes – Textwelten 07/25
Alternative Realität in Tokyo
„Tokyo Sympathy Tower“ von Rie Qudan – Literatur 07/25
Bis zur Neige
„Der Durst“ von Thomas Dahl – Literatur 06/25
Im Reich der unsichtbaren Freunde
„Solche Freunde“ von Dieter Böge – Vorlesung 06/25
Ein Hund als Erzähler
„Zorro – Anas allerbester Freund“ von Els Pelgrom und Sanne te Loo – Vorlesung 06/25
Flucht ins Metaverse
„Glühfarbe“ von Thea Mantwill – Literatur 06/25
Ein Leben, das um Bücher kreist
„Roberto und Ich“ von Anna Katharina Fröhlich – Textwelten 06/25