Die rund 500 BesucherInnen, die sich auf auf Leonie-Reygers-Terrasse vor dem Dortmunder U drängen, sind ganz sicher nicht die ersten, denen Sulaiman Masomi das eröffnet: „Keine Angst, ich kann deutsch.“ Seine Auftritte leitet er mit dieser Ansage gerne ein. „Zumindest für Dortmund reicht es“, fügt der Slammer hinzu. Masomi, der in Kabul geboren wurde und in Krefeld aufwuchs, nimmt in seinem bissigen Comedy-Slam gerne Versatzstücke der Migrations- oder Integrationsdebatte (oder wie der Diskurs gerade in den Medien genannt wird) aufs Korn, ebenso süffisant auch Vorurteile über eine vermeintliche Subkultur von MigrantInnen. Und er kann unterhaltsam austeilen. Das verrät auch sein erster Beitrag an diesem Abend, in dem er eine Begegnung mit Dortmunder Nazis schildert, die ihn als „Sozialopfer“ beschimpfen – für den Krefelder schon aus pragmatischen Gründen nicht die beste Idee, wie er meint: „Jemanden am Dortmunder Hauptbahnhof als ,Sozialopfer' anzusprechen, ist nicht klug, denn es können sich potentiell alle angesprochen fühlen.“ Wie man darauf reagieren kann? Döner und Bananen auf Nazis werfen! Ansonsten zeigt Masomi, wie kreativ er darin sein kann, die üblichen „Antifa“-Parolen mit Slam-Mittel zu würzen und Nazis so zu beleidigen, dass es sie verletzen müsste, wenn sie denn mal lauschten.
„Scheiß auf Fazit! Heute gibt’s nur Arschtritt!“
Dem steht in der westdeutschen Nazi-Hauptstadt auch der Poet Sebastian 23 in nichts nach. Sein Text, benannt nach zwei Körperteilen, „Hal(t)'s Maul“ hat so ziemlich das gleiche Sujet: „scheiß braune eselfressende scheiß Nazis.“ Der „bemützteste oder benutzteste Slammer Deutschlands“ (Moderator Rainer Holl war sich da irgendwann nicht mehr so sicher) performt ein buntes Bashing gegen Nazis, Pegida-TheoretikerInnen oder Chemtrail-Experten und animiert auch das Publikum, mitzupöbeln. Poetry Slam ist schließlich keine Hochkultur. So kann auch Sebastian 23 nach seinen Versen resümieren: „Scheiß auf Fazit! Heute gibt’s nur Arschtritt!“
Ein wenig unter geht an diesem Abend der Comedy-Hegemonie Theresa Hahls Auseinandersetzung mit ihrer „Nibelungen“-Lektüre in ihrem Beitrag mit dem schrägen Titel „Der auktoriale Erzähler ist ein Arschloch“. Denn dieser, so mokiert die Slammerin aus Bochum, „kennt bekanntlich Anfang und Ende“. Und so eine auktoriale Stimme, die alles weiß, ist nicht selten sehr weit vom wirklichen Leben entfernt, wie das lyrische Ich in Hahls Versen erzählt: „Wo ist diese Stimme, wenn man sie wirklich braucht?“ Am Ende dann doch zu viel Hochkultur für das Dortmunder Slam-Publikum, auch wenn Moderator Rainer Holl fachkompetent über den Nibelungen-Text erläutert: „So was wie Herr der Ringe, nur nicht in 3D. Aber eine deutsche Produktion!“
„PoetrIslam“: Sulaiman Masomi über den Untergang des Abendlandes
Im „Finale“, in dem Florian Wintels, Henrike Klehr und Sulaiman Masomi auftreten, gibt es neben einem Dortmunder Hafenlikör sogar die DVD „Die Supernasen“ mit Thomas Gottschalk zu gewinnen – was Sebastian 23 ein wenig irritierte: „Ich finde es etwas ambivalent, Supernasen bei einem Slam zu verlosen, bei dem Sulaiman mitmacht.“ Doch der zog die Aufmerksamkeit in der Finalrunde weniger durch seine Nase als durch seinen Beitrag „Der Untergang des deutschen Abendlandes“ auf sich und gibt ganz ernst zu: „ich islamisiere heute auch Euch.“ Sulaiman Masomi versteht es, den Diskurs über angebliche Islamisierung durch schräge Wortspiele aufs Korn zu nehmen. Der Fachausdruck dafür: „Allah-gie“, und die Veranstaltung an diesem Abend ist natürlich ein „PoetrIslam“, so der selbsternannte „Selbstwortattentäter“. Nicht das erste, aber ganz sicher auch nicht das letzte Selbstwortattentat des Slamafisten Masomi.
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