Mit ihren bloßen Händen kann sie den Bagger nicht aufhalten, der auf sie im Braunkohlelager zurollt. Aber das ist der Mut, den Protest braucht. Auf der einen Seite steht die Polizei, auf der anderen Seite Fatima Talalinis lyrisches Ich inmitten der Demonstrierenden. „Wir müssen protestieren und verändern“, sagt sie in ihrem Beitrag mit dem schönen, fundamental-punkigen Titel „Ich bin dagegen“. Was die Dortmunder Slammerin auf der „Bühne“ der Essener Kreuzeskirche vorträgt, ist eine Ansage an das fiktive Gegenüber, das Dagegensein gefälligst ernst zu nehmen. Gegen Massentierhaltung, Nazis, gegen Klimakatastrophen oder BWL-Studierende? Und gleichzeitig egoistisch und konsumorientiert dem westlichen way of life folgen? „Hat dein Dagegensein schon was bewirkt?“ Eine Elegie über den tristen, ungerechten Systemalltag und zugleich expressionistische Weltverbesserungs-Beschwörung ist auch Talalinis anderer Text an diesem Abend. „Aber ohne große Macht und Geld können wir wirken auf unserem eigenen Feld“, so die Dortmunderin. „Mut zu neuen Utopien.“
Unterhalten sich ein Armer und ein Reicher...
Talalinis Auftritt ist nur eine von vielen vielversprechenden PoetInnen bei diesem „Grenzen-los“-Slam, der in Kooperation mit „Brot für die Welt“ auf Tour ist und an diesem Abend in Essen Halt machte. Für politische Performances bekannt ist auch Sim Panse. Der Bremer entlehnte seinen Beitrag direkt vom Godfather der engagierten Lyrik: Bertolt Brechts Epigramm über den Armen, der den Reichen trifft. Der Slam-Sieger des Abends macht aus Brechts Vierzeiler einen kleinen Dialog: Den Reichen gibt Sim Panse als albernen wie menschenfeindlichen Patrick Bateman-Verschnitt, der über das harte Leben jammert und verachtend auf die Ausgebeuteten herunterblickt. Der Arme hält – ganz brechtisch – dagegen: „Dieses Leben ist nicht hart, es ist nur hart, was wir daraus machen.“ Echter Agit-Prop-Slam – in der Kirche.
Bambule statt Comedy
Die sonst übliche, seichte Publikumsbespaßung blieb beim „Grenzen-los“-Slam aus: Luise Frentzel konfrontiert in ihrem Text die verhältnismäßig sorgenfreie „erste Welt“ mit der Tatsache, dass alle sechs Sekunden ein Kind stirbt. Björn Gögge fordert in seiner Politiker-Rede: „Grenzen raus aus Deutschland.“ Und Özge Cakirbey porträtiert die fiktive Figur „Lizzy“, die in der westlichen Wohlstands-Blase viel grübelt, angesichts von weltweitem Hunger und Krieg jedoch nichts macht. Gepflegtes, lyrisches Auskotzen für eine bessere Welt an diesem Abend.
Beliefern die gut besuchten Slam-Events das meist junge Publikum sonst oft mit Comedy-Unterhaltung oder im „besseren“ Fall mit (Lehramts)Studierenden-Herzschmerz-Lyrik, so offenbarte die neueste Ausgabe des „Grenzen-los“-Slams eine gewisse Politisierung: Rechtsruck, Demagogie, Armut und Ausbeutung waren die Themen. Rebellisch und weltverbesserisch die Motive. Aufmuckende Vers-Bambule. Bitte mehr davon!
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