Mit Liebeslyrik ist es immer so eine Sache. Wie besingt man Gedanken und Gefühle, die schon so sehr von (Pop)-Schlagern, Telenovelas oder Trivialromanen bedient werden? Als Hymne auf das Liebesglück, als Minne an die verehrte Person oder als melancholische Elegie über den Schmerz, den der oder die Abgewiesene erleidet?
Um schmalzige Gedichte, die eher peinlich berühren, zu umgehen, macht man es am besten wie Florian Cieslik und nimmt die eigenen Verse nicht besonders ernst: „Ich trug Dich bis ans Ende der Welt/ Du kamst zurück“, heißt es sehr nüchtern in einem seiner Fast-Epigramme, die der Hessen-Champ im Poetry-Slam 2014 am späten Abend im vollen Veranstaltungssaal des Domicil vortrug.
Oder: „Erst ging ich auseinander, dann sie und dann wir beide.“ Die üblichen Floskeln und Topoi werden dekonstruiert. So war sich auch Cieslik nicht zu schade, seine Liebesverse einem Furz zu widmen: „Wenn sie es tut, dann ist die Luft ein Meer von Rosenduft.“ Liebe geht durch den Darm und des Dichters Message: „Gebt Gas Mädels!“
Wie liebevoll es zuweilen in der Ruhrpott-Metropole Bochum zugehen kann, fasste dann Jason Bartsch zusammen, der die romantischste Szene am Hauptbahnhof aufschnappte: „Joa, ne... – dann Tschüß“, so die kargen aber klangvollen Abschiedsverse auf dem Gleis, die er auf der Bühne wiedergab.
Eigentlich performte der Bochumer Slammer, der im Frühjahr die NRW-Meisterschaft im Poetry-Slam gewann, eine Liebeserklärung an seine neue Heimatregion, das Ruhrgebiet, das so viele schöne Dinge vorzuweisen hat – z.B., was den Fußball betrifft: „Wir haben zwei gute Vereine – und wir haben Schalke.“
Aber auch ein Liebesgeständnis an die Stadt Bochum rang er sich in Anlehnung an Grönemeiers berühmte Hymne in Form von ein paar liebevollen Versen ab – gewidmet etwa der Betonwüste Ruhr-Uni: „Die Universität sieht nicht nur aus wie die DDR sich angefühlt haben muss.“
Bier, Bukowski und fünf Minuten Liebe
Aber auch der berauschenden Partymeile, „die zurecht Bermuda-Dreieck genannt wird, nämlich weil es ein Wunder ist, die Straße zu durchqueren ohne von einem Junggesellinnenabschied begrapscht zu werden. Ich habe schon einige Freunde dort verloren, denn diese Junggesellinen sind wie Haie: Gefährlich, sehr sehr weiß und sie bestehen zu 95% aus Gebiss.“
Hinter den Kulissen der Slam-Szene blickte dagegen sein Beitrag „Ein Text, der verstehen helfen soll“ – eine Liebeserklärung an den modernen DichterInnenwettstreit: „In dem rhythmischen Rattern der Reime versank ich und verliebte mich in Sebastian 23.“
Nicht nur die Begegnung mit den Slam-Ikonen huldigte er, sondern auch, worum es in den fünf Minuten, die ein Slammer auf der Bühne hat, geht: Fünf Minuten für das „Wahre und Schöne“, Ängste, Gedanken, Gefühle, Liebe. Nicht zuletzt um die Begeisterung des Publikums – und das, wie Jason Bartsch hofft, nicht umsonst:
„Und diese fünf Minuten können auch Euer Leben verändern.“ Viel Pathos, wie er selbst gesteht. Aber so kann eine lyrische Liebeserklärung auch aussehen.
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