Böse Zungen behaupten, der Begriff „Weltmusik“ wäre nur das umsatzgeschwängerte Hirngespinst einiger Marketing-Fachleute aus den Zentralen der großen Plattenlabels. Das nun zu verfluchen, dafür ist es zu spät. Und der Traum, dass jedes musikalische Genre sich selbst unter seinem eigenen Namen gleich bleibt, wird nur noch von Idealisten aus dem Underground geträumt. Weltmusik ist ein Vielfaches – und als solches nur schwer zu kategorisieren. Gerade dies verspricht aber in Zeiten durchdeklinierten Musik-Marketings nachhaltige Konzerterlebnisse.
Im Dortmunder Konzerthaus wird mit einer eigenen Reihe solcher Vielfalt Rechnung getragen. In der nun auslaufenden Saison lud man Größen wie die indische Sitar-Spielerin Anoushka Shankar ein. Ihre dröhnend-treibenden Klangschleifen schlingen sich durch minimale Variationen und springen dann wieder über in eine gänzlich neue Melodie. Das Zuhören wird da zur Reise, passend zu ihrem Album „Traveller“, das sie Anfang Dezember beim Konzert in Dortmund im Gepäck hatte. Die Tochter der indischen Musiklegende Ravi Shankar und Halbschwester von Norah Jones wird auch in der neuen Saison wieder zu Gast in Dortmund sein – diesmal gleich mit zwei Konzerten. Denn neben Einflüssen aus der westlichen Pop-Musik, die ihr Vater bereits aus seinen Konzerten mit Ex-Beatle George Harrison mitbrachte, spielt für sie seit Jahren der Flamenco eine entscheidende Rolle. Hier fühle sie das gleiche intensive Erlebnis wie bei der indischen Musik, die ihr ihr Vater von klein auf vermittelte, so die in San Diego aufgewachsene Shankar. Zwischen zwei Kontinenten pendelt seit den 1980er Jahren auch Mercan Dede. Der in Montreal lebende Türke stieg in die aufkommende Technoszene ein und machte sich schnell in Nordamerika einen Namen als Sufi-DJ. Seine Grenzgänge zwischen türkischer Folklore und beatlastigen Samplestücken vermischen analoge und elektronische Instrumentationen, deren Grooves nicht selten den Anschein von Transzendenz verströmen. Obgleich die Weltmusik-Reihe in dieser Saison mit Mercan Dede endet, geht es mit dem Dortmunder Klangvokal-Festival quasi in die Verlängerung. Dort wartet niemand Geringeres als Angelique Kidjo, das personifizierte Erbe Miriam Makebas, wenn es um die Nachfolge der Personifizierung der afrikanischen Pop-Musik geht. Dabei ist die Bezeichnung African-Pop nichts Weiteres als der Versuch, ein heterogenes Gebilde in einen Begriffsrahmen zu quetschen. Kidjo, die 1982 vor der kommunistischen Regierung Benins nach Frankreich floh, versammelt dennoch wesentliche Punkte afrikanischer Gesangskunst. Eine kraftvolle Stimme, Klagelieder mit erdrückendem Tiefgang sowie Texte, die mit politischen und sozialkritischen Statements gespickt sind.
Wenn das häufig missverstandene Bild afrikanischer oder indischer Musik seine exotische Visitenkarte verlieren und noch stärker in jenen Dialog treten soll, den die MusikerInnen schon seit Jahren pflegen, dann könnte es in Zukunft sein, dass eine Weltmusik-Reihe nicht mehr das große Novum im Konzertbetrieb darstellt – ganz gleich, wie sich die gute Marke dann nennen soll.
Mercan Dede I Mi 2.5. 20 Uhr
Angelique Kidjo I Do 24.5.20 Uhr I Konzerthaus Dortmund I 0231 22 69 62 00
Klangvokal Festival Dortmund I 16.5.-3.6.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Opernstar zum Anfassen
„Festival Joyce DiDonato & Friends“ in Dortmund – Klassik an der Ruhr 03/25
Geschwisterpower
Kanneh-Mason Trio in Dortmund – Musik 03/24
Spiel mit den Elementen
Alexej Gerassimez & Friends im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 03/24
Mit Micky Maus am Dirigierpult
Elim Chan und das Antwerp Symphony Orchestra in Dortmund – Klassik an der Ruhr 12/23
Folksongs mit Flamenco-Gitarre
Charlie Cunningham im Konzerthaus Dortmund – Musik 04/23
Traumbesetzung
Dortmund begrüßt das London Symphony Orchestra mit neuem Chef – Klassik an der Ruhr 12/17
Schamlos schöne Musikreise
Die Dortmunder Philharmoniker laden zum Sonnenbad – Klassik an der Ruhr 06/17
Nur Musik kam raus
Meisterpianisten beehren Dortmund – Klassik an der Ruhr 10/15
Es geht wieder los
Die Philharmonien zur Spielzeiteröffnung – Klassik an der Ruhr 08/15
Masterclass fürs Tutti
Das Sinfonieorchester Orchesterzentrum NRW spielt auft – Klassik an der Ruhr 06/15
Grenzenlos
Bobby McFerrin und Chick Corea gastieren an Rhein und Ruhr – Improvisierte Musik in NRW 06/15
Bescherung mit Geige, Sekt und Stöckelschuh
Das Kammermusik-Quartett Salut Salon am 16.12. im Konzerthaus Dortmund – Musik 12/14
Das Netz der Menschenliebe
Joan As Police Woman auf dem Haldern Pop Festival – Musik 07/25
Nicht nur für Orgelfans
16. Wuppertaler Musiksommer in der Historischen Stadthalle – Musik 07/25
Klänge der Gegenwart
Konzertreihe mex im Künstlerhaus Dortmund – Musik 07/25
„Jüdische Musik in der Region verankern“
Die Leiterin der Alten Synagoge Essen, Diana Matut, zum Festival jüdischer Musik Tikwah – Interview 07/25
Impossible Dortmund
Wilco im Dortmunder JunkYard – Musik 06/25
Gegen die Stille
Das 54. Moers-Festival – Musik 06/25
Magische Momente
Cat Power im Düsseldorfer Capitol Theater – Musik 06/25
Eine große Ausnahme
Der Pianist Alexandre Kantorow in Wuppertal – Musik 06/25
Lieber ins Meer springen
Slow Leaves im Düsseldorfer Zakk – Musik 05/25
Landlocked Dortmund
Richard Thompson im Dortmunder Piano – Musik 05/25
Entgegen der Erwartung
4. stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen – Festival 04/25
Danke für alles!
Oysterband in der Bochumer Zeche – Musik 03/25
Tanzen, Schwitzen, Lächeln
Ina Forsman im Dortmunder Musiktheater Piano – Musik 03/25