Sie kämpft mit der Schlinge um ihren Hals. Mühsam windet sie ihren Kopf, wirft die Haare zurück, dann tritt Entspannung in ihr Gesicht: Endlich sitzt der Riemen ihrer Ukulele zumindest in etwa dort, wo er hin soll. Judith Holofernes spielt am Donnerstagabend im FZW ihren neuen Hit „Jetzt erst recht“ – und der erfordert nun mal eine Ukulele. „Ich verspreche, dass ich im Laufe dieser Tour lerne, diesen Gurt mit Würde zu tragen“, verkündet Holofernes. „Bis dahin muss funktional reichen.“ Das winzige Instrument baumelt fast schuldbewusst vor ihrem Dekolleté. Doch als die ersten Töne aus ihm hervor dringen, ist das Publikum versöhnt und singt aus vollem Herzen mit. Die Band ist eine andere, der Sound ist geblieben: Judith Holofernes bleibt dem Stil ihrer früheren Combo Wir sind Helden treu – und das freut die Fans.
Holofernes hüpft zu ihrem eigenen Gesang, dass der blonde Pferdeschwanz nur so wippt. „Ist es schon eleganter geworden?“, fragt sie, nachdem die Ukulele und der an ihr befestigte schwarze Gurt ihre Arbeit getan haben. Ihr Wortwitz unterhält fast ebenso gut wie ihre Musik. So auch, als sich das Kabel des Tonabnehmers aus der Ukulele verabschiedet: „Das kann Dolly Parton besser“, gesteht sie ein und stöpselt das Kabel wieder in das Instrument. In Leoprint-Minikleid und Stiefeln tanzt sie um ihren Mikrophonständer herum. Die Sängerin scheint ähnlich viel Spaß wie ihre Zuhörer zu haben.
Schrille, rockige Stücke wechseln mit ruhigen, fast düsteren Liedern. Und immer wieder spielen sie und ihre Band mit der Verbindung von fast schon liebreizendem Gesang und deutlich weniger liebreizendem Text. Die Melodie sagt: Schmusekurs – aber die Zeilen schreien: Abrissbirne. In Zeiten, wo manch einer mit bloßen Worten Brücken bauen will, erfreut sich Holofernes an dem Gedanken daran, diese wieder einzureißen: „Nichts kann mich entzücken wie der Schein brennender Brücken“, sagt sie und fügt hinzu: „Nichts hinterlässt so schöne Lücken wie brennende Brücken.“ Die Scheinwerfer tauchen die Bühne in glutrotes Licht, Rauch steigt auf – grad als hätte die Wärme ihrer Stimme tatsächlich irgendwo auf der Bühne eine Brücke in Flammen gesetzt.
Doch schon früher liebte Holofernes den Kontrast von Weichspüler und Kratzbürste: „Bei dem nächsten Lied müsst ihr euch genau diese Judith vorstellen, nur die Augen noch blauer, mit Schlapphut und Schlaghose“, erklärt sie das Szenario, dem das Lied entstand. „Es ist das erste Lied, das ich je geschrieben habe.“ Sie räumt ein, dass es sich um „Pennäler-Romantik“ handelt und legt dann los: „Lieber bluten wir zusammen, als ganz allein zu stehn. Wer will nicht lieber aus Liebe als gar nicht zugrunde gehn?“ Zwischen den Zeilen singt sie von Jugendliebe, von Sommer und von den in Wallung geratenen Hormonen junger Menschen. Und es wird klar: Sogar durch die rosarote Brille sieht sie noch den „Fuß in der Scheiße“. Da wundert es kaum, dass Holofernes auch das Glück junger Mütter nicht verkitscht und verklärt, sondern den Geruch von Windeln und Traurigkeit und den Beigeschmack von Beziehungskrise ungeniert verströmt. Das Highlight für das Publikum ist jedoch Holofernes' Idee, etwas zu bieten, was nicht auf der neuen Platte ist. Statt alte Lieder hervorzukramen, hat sie einige ihrer Lieblingslieder anderer Künstler ins Deutsche übersetzt, den Schnulz und das Schmachten abgewaschen und kleine Meisterwerke aus ihnen gemacht. Trompetensoli und Background-Gesang vollenden die recycelten Stücke zu runden Arrangements.
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