trailer: Herr Golinski, Was ist das Besondere am Vonovia Fotopreis – Anfänger versus Profis?
Hans Günter Golinski: Der Preis ist relativ offen formuliert. Es gibt eine hochkarätige Jury, die in der deutschen und auch internationalen Kunst- beziehungsweise Fotografie-Szene gut unterwegs ist. Der Blick richtet sich schon auf junge, neue Ansätze der Fotografie, insofern zeichnet sich der Preis durch die Teilnehmerschaft, aber auch nicht zuletzt durch ein doch vergleichsweise junges Durchschnittsalter aus. Es ist eigentlich eine Förderung von neuen Profis. Klar, will man auch die Szene an sich fördern, aber ich denke, bei so einem Preisstifter wie der Wohnungsgesellschaft Vonovia ist das Thema auch eine wichtige Angelegenheit. Das Thema lautet schließlich Zuhause.
Mehrfach hintereinander dieselbe inhaltliche Auslobung – wann gehen der Thematik die Aspekte aus?
Das ist jetzt die dritte Runde. Ich selber habe sehr intensiv die beiden letzten verfolgt und staune, dass diese neue Runde noch einmal so andere Sichtweisen auf diesen Begriff zu Tage bringt. Es ist natürlich ein Thema, zu dem jeder eine Assoziation, jeder so viele Bilder im Kopf hat. Da kann man fragen, wen man will und das ist auch das Erfolgsrezept bei der Rezeption. Wenn diese Ausstellungen angeboten werden, haben die einen ziemlich breiten Zuspruch. Man muss gucken, wie lange man das durchhält. Im Moment sehe ich das Thema erstaunlicherweise aber nicht erschöpft.
Differenziert die Auslobung zwischen den Begriffen Zuhause und Heimat?
Der Begriff Zuhause ist unheimlich weit. Heimat ist ein sehr deutsch geprägter Begriff. In der englischen Sprache gibt es diesen Heimatbegriff, so wie wir ihn kennen, nicht. Bei uns war er lange Zeit in Misskredit geraten, diese Eifel-Serie von Edgar Reitz hat ihn ein bisschen rehabilitiert. Zuhause und Heimat lassen sich schwer trennen. Wobei ich hier zuhause sein kann, aber da nicht meine Heimat ist. Was ja auch die Situation vieler Migranten charakterisiert. Dadurch hat das Thema auch eine gesellschaftspolitische Relevanz, die das richtig spannend werden lässt. Nicht nur so im subjektiven Bauchbereich.
Was zeichnet die Preisträger von 2019 aus?
Die erste Preisträgerin Mona Schulzek hat einen ganzen Kunstraum geschaffen, um den Begriff Zuhause wiederzugeben. Das ist auch die Chance bei diesem Preis, dass man reine Dokumentarfotografie machen kann, dass Reportage-Fotografie funktioniert und dass der Fotograf natürlich auch experimentieren darf. Mona Schulzek hat aus Teppichen Räume gebaut, die eigentlich gar nicht begehbar sind. Aber ich glaube, jeder der ihren Teppichraum wahrnimmt, hat gleich dieses Zuhause-Gefühl, den Rückzugsort im Kopf. Teppich ist ja so ein Synonym für Wärme, für Tradition, fürs geschützt sein. Dann hat das unheimliche ästhetische Qualitäten, weil sie verschiedene Ornamente zusammenbringt, die alle auch eigenwirksam sind, eben nicht nur dekorativ. Ornamente erzählen ja auch ihre Geschichten vom Paradiesgarten oder was auch immer. Und das hat tolle Farbkombinationen und für uns gleichzeitig immer auch etwas Exotisches. Ich finde, dass die Arbeit in ihrer ästhetischen Ausgewogenheit wiederum auch einen sehr politischen Aspekt hat. Die ganzen Migrationsthemen. Wir assoziieren ja ganz stark mit den Flüchtlingen diejenigen, die aus arabischen Kulturräumen kommen – und da ist der Teppich auch so ein Synonym. Und den Teppich an sich so positiv rüberzubringen, halte ich für eine spannende und auch auszeichnungswerte Dimension dabei.
Und die Fotos mit Drohnen sind das Experiment oder das Zeitgenössische?
Es zeichnet den Preis aus, dass der Betrachter ganz viele Aspekte von Zuhause erlebt. Da gibt es die Idylle, die immer wieder auch gebrochen wird. Bei den Fotografien, die Theodor Barth gemacht hat, sind es diese ästhetischen Blicke von oben auf etwas wie Landkarten. Die haben aber auch was von Archäologie, weil man da von oben hineinschaut, als wenn jemand gegraben hätte. Formal hat das eine spannende Komponente, weckt die Neugier, aber sie haben auch eine unheimlich kritische Position, wenn wir den ganzen Braunkohle-Abbau in NRW im Hinterkopf haben. Im zweiten Schritt kriege ich dann ja mit, was der Grund für diese Art von Land-Zerstörung ist. Im Foto-Award ist es auch wichtig, dass gesellschaftskritische Themen eine Rolle spielen und die Frage, wie man eigentlich mit der Heimat, dem Zuhause umgeht. Es werden ja viele Zuhause zerstört, um da den Tagebau möglich zu machen.
Welche technischen Kriterien bestimmen die Auswahl der Preisträger?
Die Jury setzt sich ja aus Fotografen zusammen, die auch technikkundig sind. Fotografen, die das von der Pieke auf gelernt haben. Die meisten Fotografinnen und Fotografen kommen aus einer entsprechenden Ausbildung. Technisch ist natürlich primär der digitale Umgang mit den Neuen Medien. Wir hatten aber in der Vergangenheit auch Bewerber, die analog fotografiert haben. Und es gibt Beispiele, wo Grenzen der Fotografie in Richtung Montagekunst oder Collage ausgereizt werden. Und das sind Arbeiten, die ohne künstliche Beleuchtung gemacht wurden. Das sind viele Aspekte die da zusammenkommen. Technik ist das eine – ein wichtiges Kriterium würde ich jetzt sagen, und deshalb wird es auch im Kunstmuseum beachtet – das andere sind ästhetische Kriterien: Wie weit beziehen sich die Fotografen, die ja teilweise sehr jung sind, auf vorhandene Bildsprachen, durchbrechen sie und entwickeln sie weiter? Das ist für mich ein großes Interesse. Da sind unheimlich spannende Sachen zu sehen. Da sind richtig altmeisterliche Sachen entstanden, die ins Jetzt transferiert werden.
Zuhause. Vonovia-Award für Fotografie | 9.2. bis 15.3. | Kunstmuseum Bochum | 0234 910 42 30
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