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Philosophin Friederike Schmitz wirbt für einen neuen Tierbegriff
Foto: Nina Hensch

Gefühle in Käfighaltung

20. März 2018

Philosophin Friederike Schmitz auf der Tagung „Animal Turn“ am KWI Essen – Spezial 03/18

Die Meinungen gehen im wissenschaftlichen Diskurs verschiedener Disziplinen bekanntermaßen auseinander – also auch hier. Friederike Schmitz, promovierte Philosophin der Freien Universität Berlin, ist für einen Animal Turn. Sie hat einen Sammelband zur Tierethik veröffentlicht und engagiert sich ferner als Tieraktivistin, u.a. beim Verein Mensch Tier Bildung e.V. Ihr Vortrag dreht sich ums Thema: „Tierschutz, Tierrechte oder Tierbefreiung? Zur politischen Theorie des Mensch-Tier-Verhältnisses“.

Viele Philosophen würden den Umgang mit Tieren nicht in Frage stellen – viele Positionen stützen sich auf den Ansatz, der vom Menschen ausgehe, kritisiert die Tierethikerin; ähnlich, wie Kant es postuliert: „Tiere als Mittel zu unseren Zwecken“. Erst mit der neueren Tierethik – orientiert an Peter Singer und Tom Regan – scheint sich dies zu ändern. Sie äußern erstmals Kritik an der Abwertung von Tieren und fordern eine Veränderung im Umgang mit ihnen. Ihre Theorie hat allerdings auch Defizite; sie klammere aus, dass die Gefühle der Tiere relevant sind, so Schmitz.

Sie schlägt vor: „Wir müssten ethisch dazu verpflichtet werden, die Interessen von Tieren zu wahren“ und fordert dafür einen Political Turn. Erst, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere Wirtschaftsbedingungen richteten und dazu neue Gesetze entwickelten, würde der Fokus auf den Institutionen liegen und nicht mehr beim einzelnen Konsumenten. „Eine politiktheoretische Betrachtung braucht ein ethisches Fundament“, so die Autorin. Laut Regan und Singer lassen sich die Unterschiede zwischen Mensch und Tier ethisch nicht rechtfertigen, deshalb müsste ein Prinzip der gleichen Interessenberücksichtigung angewendet werden. „Das Huhn hat ein größeres Interesse am Leben als der Mensch an Chicken Nuggets“, formuliert Schmitz es drastisch.

Dann geht sie weiter auf die Zahlen und Lebensbedingungen der zum Essen konsumierten Tiere hierzulande ein. In Deutschland wird am meisten Schweinefleisch gegessen; 60 Kilo pro Kopf und Jahr sind es derzeit. Aber bereits bei der Unterbringung wird weniger ans Tier und mehr an den Wirtschaftsfaktor gedacht. Schweine liegen auf Spaltenböden über ihrem eigenem Kot und Urin. Sie können nicht einmal ihre Beine in den Boxen ausstrecken. Eine Verordnung, die das festlegt, existiere zwar, findet aber flächendeckend keine Anwendung, so die promovierte Philosophin. Stattdessen sei nun in der Diskussion, die Verordnung zugunsten der Wirtschaftlichkeit der Betriebe zu streichen. Diese kritikwürdige Herangehensweise zeigt, dass in unseren Breiten das Tierwohl zwar mit gedacht wird, jedoch dem Wirtschaftsfaktor untergeordnet ist. Vorfahrt hat, wer Geld verdienen muss. Leid ist dabei kein Maßstab und Profit die einzige Währung.

Aber nicht nur Schweine werden in Deutschland gegessen, auch Rinder, deren Haltungsbedingungen ebenfalls auf den Prüfstand gehören. Schmitz beschreibt sie als „soziale Tiere, die untereinander Freundschaften schließen“ und darüber hinaus „innige Beziehungen zu ihren Kälbern haben“. Doch damit Kühe Milch geben, werden sie künstlich befruchtet und nach der Geburt von ihren Kälbern getrennt. Einzig aus dem Grund, damit sie über das Säugen hinaus weiter Milch geben. Damit wir also im Umkehrschluss Milch haben, darf eine Kuh ihr Kalb nicht versorgen und groß werden sehen.

Hühner können in der Käfighaltung ebenfalls keine adäquaten Beziehungen aufbauen. Sie funktionieren in Gruppen mit allenfalls 50 Tieren. „Wird diese Zahl überschritten, reagieren die Tiere mit großen Irritationen – zeigen aggressives Verhalten und kannibalistische Züge“, so die Autorin. Seit Anfang 2017 verhindert eine neue Bestimmung zwar, dass Hühnern in Massen(käfig)haltung die Schnäbel kupiert werden, doch Schmitz stellt die Frage, inwieweit das dienlich sei. Es würde das eingangs genannte Problem nicht lösen, sondern es allenfalls noch verschärfen. Die Frage sollte also nicht sein, ob die Schnäbel bei den Vögeln entfernt werden, sondern ob die Massen(käfig)haltung generell weiterhin Bestand haben sollte, so die Tierethikerin weiter.

„Wo nehmen Sie Ihren Elan her?“ wird sie in der späteren Diskussionsrunde gefragt. Unbeirrt kommt die Antwort: „Man muss es versuchen!“ Einigen ist ihr Ansinnen rätselhaft: „Von welchen Tieren sprechen wir hier überhaupt? Nutztiere oder Haustiere? Dann würde deren Anzahl drastisch sinken. Das wäre das Ende.“ „Ganz recht.“, so Schmitz. Kein Lebewesen hat es verdient, unter lebensunwürdigen Bedingungen sein Dasein zu fristen. Ein Aspekt, den die Fragestellerin vielleicht in ländlicher Nostalgie ausgeklammert hat. Da überrascht es auch nicht, dass die promovierte Philosophin auch Tierversuche für „moralisch verwerflich“ hält: „Wir sollten unsere Probleme nicht auf Tiere übertragen.“

Die Betrachtungsweise löst im Publikum, auch nach dem Vortrag, Diskussionen aus. Schmitz gibt denjenigen eine Stimme, die nicht selbst aufstehen können für ihre Rechte, damit ein Umdenken möglich wird. Grundsätzlich lässt der Vortrag die Frage aufkeimen, in welcher Relation der Umgang mit Tieren zu unserem Konsumverhalten steht. Mit welchem Recht maßen wir uns an, derart über andere Spezies zu herrschen?

Nina Hensch

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