Schauspielerin Elisabeth (Natalie Portman) soll in ihrem nächsten Film eine Frau in den Dreißigern spielen, die eine Beziehung mit einem 13-jährigen Jungen eingeht. Für diese sehr ungewöhnliche Rolle möchte sich Elisabeth gut vorbereiten. Sie will Gracie, die Person, die als reale Vorlage für den geplanten Spielfilm dient, näher kennenlernen. Gracie (Julianne Moore) hatte vor über 20 Jahren im Alter von 36 Jahren eine Affäre mit dem 13-jährigen Joe, den sie in dem örtlichen Zoogeschäft kennengelernt hat. Der Fall machte seinerzeit große Schlagzeilen und Gracie wurde in dem anschließenden Gerichtsverfahren schuldig gesprochen. Was den Fall noch ein wenig irritierender macht: Seit ihrer Entlassung aus der Haft lebt Gracie mit dem inzwischen erwachsenen Joe (Charles Melton) und zwei gemeinsamen Kindern, die inzwischen auch fast erwachsen sind, zusammen. Elisabeth nimmt in Vorbereitung für ihre Rolle Kontakt zu Gracie auf, und die ist erstaunlicherweise sofort bereit, Elisabeth kennenzulernen, lädt sie sogar ein, die ganze Familie in ihrem opulenten Vorzeigehaus am See in demselben Ort der damaligen Ereignisse zu besuchen, um sich selber ein Bild zu machen. „May December“, eine englischsprachige Bezeichnung für ein Liebespaar mit sehr großem Altersunterschied, widmet sich wie schon zuvor Todd Haynes Kinofilm „Carol“ (2015) und seine Miniserie „Mildred Pierce“ (2011) angelehnt an ältere Melodramen Frauenfiguren, die versuchen, aus den ihnen zugedachten Rollen auszubrechen. Todd Haynes erkundet ein spannendes Beziehungsgeflecht aus schwer zu dechiffrierenden Persönlichkeiten und inszeniert Elisabeths Forschungsreise als klassisch-elegant gefilmtes Melodram. Andererseits dringt er in diesem Vexierspiel tief in die Faszination der Schauspielerei ein und zeigt, wie eine Person langsam mit der Psyche einer anderen verschmilzt und sich gar darin zu verlieren droht. Vor allem die beiden oscarprämierten Hauptdarstellerinnen Natalie Portman und Julianne Moore geben diesbezüglich ein fantastisches Duo.
Wieder einmal wird Nadine herbeigerufen. Paul war schon vor dem Bewerbungsgespräch sehr aufgeregt, dann ist er mitten im Gespräch getürmt und hat sich nun in einer Ecke des Betriebs verschanzt. Nadine kennt das schon lange – Paul ist ihr Mann. Manchmal, wenn er Angst hat wie etwa vor einer Bewerbung, dann ist er panisch und läuft weg wie ein kleines Kind. Oder er wird aufbrausend und tobt wie ein wilder Stier. Er kann aber auch verständnisvoll und unterstützend sein wie eine gute Mutter. Oder euphorisch und impulsgesteuert wie ein Teenager. All das kennt Nadine, all das ist Paul. Doch mitunter wird ihr das zu viel und sie fragt sich: Wer ist denn der echte Paul? Der, in den sie sich verliebt hat, damals, als sie hier in die Region kam und einen Job suchte. Nach „Sag Du es mir“ aus dem Jahr 2019 ist „Alle die du bist“ der zweite abendfüllende Kinospielfilm des in Köln aufgewachsenen Regisseurs Michael Fetter Nathansky (Drehbuch zu „The Ordinaries“), der an der Hochschule für Film- und Fernsehen in Potsdam Regie studierte und inzwischen in Berlin lebt. „Alle die du bist“, der in diesem Jahr auf der Berlinale seine Premiere feierte, ist aus gleich mehreren Gründen ein außergewöhnlicher Film. Zum einen sind Aenne Schwarz als Nadine und Carlo Ljubek als Paul in der Darstellung einer taumelnden Liebe in jedem Moment eindringlich in ihrer liebenden Zerrissenheit. Auch ist die Ansiedlung der Liebesgeschichte in der Arbeiterklasse nicht nur eine begrüßenswerte Wiederaufnahme beziehungsweise Erneuerung des fast ausgestorbenen Genres des Arbeiter:innenfilms.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Colin und Cameron Cairnes' sprichwörtliche Horror-Show „Late Night with the Devil“, Guy Nattivs Historiendrama „Golda - Israels Eiserne Lady“, Mahakia Belos Endzeit-Drama „The End We Start From“, Julia Beerholds Doku „Hinter guten Türen“ und Dror Morehs Polit-Doku „Kulissen der Macht“.
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