Dies ist die Geschichte von Hedi und Karl-Heinz, die sich, er aus West-, sie aus Ost-Deutschland, 1969 auf einer Familienfeier kennenlernen und verlieben. Davon, wie er gegen Vietnam und den Imperialismus rebelliert. Wie er, getrieben von der wachsenden Liebe, bei den Behörden der DDR einen Übersiedlungsantrag stellt. Davon, wie sich die Stasi diesen Wunsch zunutze machen will. Und wie Hedi und Karl-Heinz schließlich gemeinsam mit zwei Freund*innen einen irrwitzigen Plan schmieden, der Hedi die Republikflucht ermöglichen soll. Man schreitet zur Tat. So einiges geht schief. Regisseurin Vera Brückner holt in „Sorry Genosse“ nicht nur eine filmreife wahre Geschichte auf die Leinwand. Sie hat auch das Glück, dass sich die Protagonist:innen ganz wundervoll öffnen und das alles munter, lebendig und grundsympathisch vor der Kamera nacherzählen. Gemeinsam bereisen sie die historischen Orte, altes Bild- und Filmmaterial illustriert die Erzählung, die Spannung zieht zunehmend an und Rio Reiser singt dazu die alten Lieder. Eine berührende Liebesgeschichte, ein hochspannendes Fluchtdrama, eine Feel Good-Doku.
Eine isolierte, streng patriarchalisch fundamentierte Glaubensgemeinschaft in den USA. Die ausufernde Gewalt zwingt eine Handvoll Frauen zur Entscheidung: Bleiben und kämpfen – oder gehen? Co-produziert von Frances McDormand und Brad Pitt und hervorragend besetzt (Rooney Mara, Claire Foy), erzählt Sarah Polley mit ihrer Romanadaption „Die Aussprache“ nur vordergründig eine weltentrückte Geschichte. Die Machtwerkzeuge, mit denen Männer herrschen, der Missbrauch von Glaube und anderem Geschlecht kulminiert hier bloß in einem Mikrokosmos, den Polley klug und sinnlich nach Außen trägt. Eine kunstvoll bebilderte und anmutig musikalisch vertonte Fabel, die, auch humor- und hoffnungsvoll, für Heilung einsteht. Heilung eines kaputten Miteinanders. Heilung einer zunehmend weltentrückten Welt. Ergreifend.
Luana (Shkurte Sylejmani) wächst als Teenager im ländlichen Albanien der 1950er Jahre auf. Die Gesellschaft ist hier hin- und hergerissen zwischen der strengen kommunistischen und antireligiösen Linie des Diktators Enver Hoxha und den dörflich-religiösen Traditionen des Kanun. Beides bedeutet für Luana, die schon früh Flamur versprochen ist, obwohl sie Agim liebt, nichts Gutes. Die erwachsene Luana (toll: Rina Krasniqi) entscheidet sich im Angesicht der rücksichtslosen Brutalität Flamurs zu einem radikalen Schritt: sie wird zur Burrnesha, einer Jungfrau, die wie ein Mann lebt. So entkommt sie nicht nur der Heirat, sondern kann auch Blutrache an Flamur nehmen. Die anfängliche Leichtigkeit von Bujar Alimanis „Luanas Schwur“ weicht zunehmend einer beklemmenden Enge, die Regisseur Alimani eindrücklich einfängt.
Für „Der Geschmack der kleinen Dinge“ spielt Gérard Depardieu den Sternekoch Gabriel Carvin, der völlig für ein Leben hinter dem Herd aufgeht und darüber hinaus auch seine Familie vernachlässigt. Den Herzinfarkt, den er im Film erleidet und der ihn zum Überdenken seines bisherigen Lebens anregt, nimmt man dem Schauspieler voll und ganz ab, zumal man hier Parallelen zum tatsächlichen Leben Depardieus wähnt. Das wird noch durch die Tatsache verstärkt, dass der Mime hier zum ersten Mal seit 36 Jahren wieder gemeinsam mit Pierre Richard vor der Kamera steht, mit dem zusammen er in den 1980er Jahren das erfolgreichste Komikerduo Frankreichs („Zwei irre Spaßvögel“) gebildet hatte. Freund Rufus (Richard) lotst den Sternekoch nach einer Hynose schließlich nach Japan. Slony Sow („Parisiennes“) hat sich für seinen zweiten Langfilm fast ein wenig zu viel vorgenommen. Nicht nur das Schicksal der beiden in die Jahre gekommenen Köche wird hier abgehandelt, sondern auch das von drei ihrer Nachkommen. Zudem gibt es einen dritten Handlungsstrang mit einem japanischen Geschäftsreisenden. Zwischen diesen Teilerzählungen wird mitunter virtuos hin- und hergeschnitten.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Mark Cousins‘ Essayfilm „The Story of Looking“, Alejandro Loayza Grisis Land- und Liebesdrama „Utama. Ein Leben in Würde“, Gunnar Vikenes Kriegsdrama „War Sailor“, M. Night Shyamalans Hüttenzauber „Knock at the Cabin“, Steven Soderberghs Stripper-Showdown „Magic Mike's Last Dance“ und Toby Genkels und Florian Westermanns gelungene Rattenfänger-Neuninterpretation „Maurice, der Kater“.
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