Titane
Frankreich, Belgien 2021, Laufzeit: 108 Min., FSK 16
Regie: Julia Ducournau
Darsteller: Vincent Lindon, Agathe Rousselle, Garance Marillier
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'Cannes nix!
Matt513 (266), 29.10.2022
Ist die Luft an der Cote d'Azur verdorben* oder rauchen sie da irgendwas schlechtes, muß man sich fragen, nachdem nach Parasite nun dieser, äh ja, Film eine Goldene Palme eingeheimst hat. Ähnlich wie ersterer spaltet auch dieser die Kinogemeinde.
Nichts darin macht Sinn. Es geht damit los, daß weder der spektakuläre Titel noch die Platte aus selbigem Material im Kopf von Hauptfigur Alexia viel mit der Handlung zu tun haben. Im Prolog sieht man sie als bockiges Kind einen Unfall der Familienkutsche mitverursachen, woraufhin ihr Köpfchen mit besagter Platte repariert wird. Und das war's. Wer wegen Filmtitel bzw. -plakat auf den Film neugierig gewesen ist, hätte hier - so der sechste Sinn auf Zack gewesen wäre - unversehens eine reelle Chance gehabt, den Abend zu retten, nämlich zu gehen.
Anschließend wird die bekannte Formel vorgeführt, wonach heiße Schlitten mit ebensolchen, sich darauf räkelnden Mädels ja gut zusammengehen sollen. Gab's anderswo schon mal zu sehen; also, gut, mal schauen, was Regisseurin Ducournau da heraus schafft. Es wäre ja durchaus die Anlage da zu einem metaphysischen Sujet; die Sexualisierung der Frau etwa, ihre Degradierung zu einem bloßen Begierdeobjekt durch die Assoziierung mit Autos. Alexia ist mittlerweile erwachsen und Tänzerin auf solchen PS-Bolidenshows. Auf den sozialen Medien hat sie Fans. Einer bezahlt einen hohen Preis. Ihm folgen bald weitere. Alexias rote Spur wird länger.
Warum passiert das? Was ist Alexias Motivation? Hat sie ein Trauma? Warum schon war sie auf ihren Vater stinkig, damals auf dem Rücksitz? Wo kam das alles her? Nichts, nichts weiß man! Alles bleibt unerklärt.
'Kommt noch besser. Nachvollziehbar wäre ja gewesen, wenn sie aufgrund des Unfalls eine Abneigung gegen Autos entwickelt hätte. Stattdessen sieht man sie, just aus dem Krankenhaus entlassen, zärtlich die Famlienkutsche küssen(!); genau, die Karre, in der sie mit dem Köpfchen hart anschlug. Statt einer Abneigung ist die Anlage für ein erotisches Verhältnis zu Autos gelegt. Aha, okayy.. Und diese frühe Veranlagung kulminiert in einer absurden Sexszene mit einem der Schlitten, auf denen sich Alexia während der Autoshow räkelte. Ääähh.. ja! Verstehen Sie bitte, mit stirnrunzeln muß ich mich mittlerweile zurückhalten; ab einem gewissen Alter bekommt man die Falten nicht wieder raus. Und siehe oben, mein sechster Sinn lag an dem Abend wohl mit Kater im Bett.
Nun muß Alexia also fliehen, rote Spur und so. Hat der Film bis hier schon etliche komische wie unerklärte Kapriolen geschlagen, hofft man nun auf wenigstens etwas Action. Doch mit der Episode auf der Feuerwehrwache landet er vollends in der Sackgasse. Um der Polizei zu entgehen, schneidet Alexia sich die Haare und schlüpft in die Identität eines seit vielen Jahren vermissten, nun natürlich erwachsenen Jungen, der Sohn des Feuerwehroffiziers. In einem hanebüchenen Machwerk von Film ist Vincent Lindons Darstellung dieses außen harten, aber im Inneren gütigen, von Selbstzweifeln geprägten Offiziers noch das Sehenswerteste.
Aber selbst ein Mensch, der sich nichts sehnlicher wünscht, als seinen verlorenen Sohn zurückzubekommen, muß doch spätestens, als er die vor ihm stehende Person umarmt, den Schwindel bemerken; der zierliche, nicht-männliche Körperbau (Alexia hatte sich die Brüste sowie den schwellenden(!) Bauch zurückgebunden) ebenso wie der fehlende Bartwuchs! Das ist so offensichtlich, da muß doch so ein gestandener Kerl die cojones haben und das Kuckuckskind an die frische Luft setzen, zumal auch seine Untergebenen anfangen zu tuscheln. Also, wo macht das alles Sinn?
Was wurde diesem Streifen in den Rezensionen nicht alles umgehängt. Na klar ein französischer Film, selbstverständlich ist er da künstlerisch wertvoll. Richtig tolles Arthaus. Und, haste nicht gesehen, die vielen Nuancen (zwischen)menschlicher Befindlichkeiten, die er anleuchtet. Inklusive dieses 'Genderwechsels' der Hauptfigur; ja Mensch, voll auf der Höhe der Zeit, ganz toll!
Das können Sie vergessen. Nichts ist durchkomponiert, wenig ist konsistent, vieles liegt wie angefangen und dann vergessen herum, wie halb verspeiste Mettbrötchen. Und zu diesem besagten Genderwechsel, nunmehr in mehreren Rezensionen gelesen - hallo, Alexia 'wechselt' ihr Geschlecht, weil sie untertauchen muß und nicht, weil sie über sich selbst im Zweifel ist. Nicht mal die Inszenierung kann was; die ist über weite Strecken stinköde.
Ich möchte wetten, wäre derselbe Film nicht von einer Frau, sondern einem Mann (Alter und Ethnie so und so) gedreht worden, dieselben Kritiker, die ihn jetzt gepriesen haben, hätten ihn als sexistisch und pornographisch zerrissen. Aber so sind die Zeiten eben. Früher war ein mittelmäßiger Film - ein mittelmäßiger Film. Heute macht es einen Unterschied, wer ihn aus welcher kulturellen Einbettung heraus dreht. Das adelt manchen Schmarrn und galt bereits sehr stark für Parasite.
Neben allem behaupteten und tatsächlichen Anspruch soll ein Film nicht zuletzt auch unterhaltsam sein. Daran dürfen sich Filmschaffende auch mal erinnern.
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*P.S.: Nach Lektüre der hier verlinkten Filmkritik darf ich wie folgt erklären – daß diese sich im Beginn sehr ähnlich liest, ist tatsächlich Zufall.
„Ich wollte die Geschichte dieser Mädchen unbedingt erzählen“
Karin de Miguel Wessendorf über „Kicken wie ein Mädchen“ – Portrait 04/24
Sichtbarkeit vor und hinter der Leinwand
Das IFFF fordert Gleichberechtigung in der Filmbranche – Festival 04/24
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Henriette Confurius über „Die Herrlichkeit des Lebens“ – Roter Teppich 03/24
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