Das weiße Band
Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien 2009, Laufzeit: 144 Min., FSK 12
Regie: Michael Haneke
Darsteller: Christian Friedel, Ernst Jacobi, Ulrich Tukur, Leonie Benesch, Ursina Lardi, Fion MutertT, Michael Kranz, Steffi Kühnert, Burghart Klaußner, Maria-Victoria Dragus, Leonard Proxauf, Thibault Serie, Josef Bierbichler, Enno Trebs, Theo Trebs, Janina Fautz, Rainer Bock, Susanne Lothar, Roxane Duran, Miljan Chatelain, Eddy Grahl
Michael Hanekes Meisterwerk
Schuld an der Schuld
"Das weiße Band" von Michael Haneke
Michael Haneke inszeniert ein filmisches Kunstwerk in Schwarzweiß über die Konsequenzen erzieherischer Gewalt in einem deutschen Dorf des Jahres 1913. In Cannes gewann er damit die Goldene Palme. Gewalt und Tod sind die beständigen Themen, mit denen sich Regisseur Michael Haneke (67) in seinem filmischen Schaffen mehr oder weniger explizit auseinandersetzt. Fast immer beschäftigt den preisgekrönten Filmemacher auch das Thema Kindheit. Gewalt entspringt bei Haneke dem Elternhaus, mal aus Vernachlässigung ("Bennys Video"), mal aus Überbemutterung ("Die Klavierspielerin"). Oder sie ist wie in "Funny Games" ein Ist-Zustand, in dem zwei jugendliche Unmenschen namens Peter und Paul eine Kleinfamilie ermorden - unbedarft, fern aller Skrupel und Moral. Ein Film, der keine Erklärungen liefert, wohl aber Fragen stellt. Mit "Das weiße Band" gibt Haneke eine Antwort: "Eine deutsche Kindergeschichte" lautet die Titelunterschrift, und der Film erzählt von einer ganzen Kinderschar, die am Vorabend des Ersten Weltkriegs unter strenger Obhut ihrer Eltern in einem protestantischen Dorf in Norddeutschland aufwächst. Am Ende des Films hat man bittere Kindheiten erlebt, aus denen gewissenlose Bestien wie Peter und Paul erwachsen werden. Schuld am Verlust der Unschuld ist der Erwachsene, und zuallererst ist es hier der Mann: Da sind der Gutsherr (Ulrich Tukur), der Pfarrer (Burghart Klaußner) und der Arzt (Rainer Bock), allesamt Väter und Erzieher. Und erschreckend wahrhaftige Ekel, die lautstark und mit Rutenschlag, doch vor allem mit verbaler Gewalt ihre Kinder unterwerfen. Und die ihre Frauen erniedrigen, welche selbst bei erwachendem Freiheitsbegehren am Ende klein beigeben. Die stumm sind und stiller Mittäter, in diesem Dorf vor hundert Jahren. Eines Tages wird die Gegend von blutigen Überfällen heimgesucht. Angst macht sich breit, und der Verdacht fällt zunehmend - auf die Kinder.
Die Bestie Mann
Ein Drama, ein Kriminalfall, ein Trauerspiel. Haneke entwirft ein packend dichtes Bild einer auf zwischenmenschlicher Unterdrückung fußenden Gesellschaft, in der man noch keine Egoshooter-Spiele als Sündenbock dafür heranziehen konnte, dass Kinder zu Monstern gedeihen. Hier zerstört vor allem das Wort. Selten haben Worte im Kino so verletzt. Die Bestie Mann verlässt, schon aus Selbstschutz, nie die Rolle seiner auferlegten unerbittlichen Vorherrschaft, handelt impulsiv, kurzsichtig und ritualisiert. Eines der Rituale ist das titelgebende weiße Band. Ein Tuch, das der Pfarrer seinen Kindern um den Arm fesselt, auf dass es sie fortwährend an Unschuld und Reinheit erinnert. Tugenden, die die Erzieher selbst nicht kennen. Schmerzvoll und mitreißend erzählt Haneke von diesen Mechanismen. Den Kriminalfall löst er derweil nicht auf. Weder die ermittelnden Polizisten noch der Zuschauer werden Zeuge der beunruhigenden Überfälle in der Gemeinde. Am Ende steht auch kein Geständnis. Darum geht es Haneke nicht. Haneke macht es dem Zuschauer wie gehabt nicht einfach. Interpretationen müssen spekulativ bleiben.
Kinokunst in allen Facetten
Es soll nicht vergessen werden zu würdigen, dass an diesem Film alles stimmt: Haneke inszeniert hier Kinokunst in allen Facetten. Die selbstauferlegte Bürde, seine Geschichte in Schwarzweißbildern zu erzählen, meistert er gemeinsam mit Stamm-Kameramann Christian Berger in überwältigender Perfektion. Jede Perspektive, jede Einstellung ist beseelt komponiert: Die Leinwand bietet düsterer Enge ebenso Platz wie befreienden Totalen. So werden den dunklen Geschehnissen Stillleben von in gleißendes Licht getauchten Alleen und Feldern entgegengesetzt. Mal erfährt das Bild minutenlang keinen Schnitt oder bleibt hypnotisch unbewegt, und plötzlich wird es wieder bedrohlich unruhig. Haneke bespielt die Leinwand mit Erfahrung, Profession und Leidenschaft. Dabei überzeugen auch die Schauspieler, die bis hin zu den Nebendarstellern - besonders hervorzuheben sind hier die Kinder - ausschließlich mit trefflich ausgesuchten Talenten besetzt sind. Feldarbeit, Dampfmaschinen, Erntedankfest: Auch atmosphärisch taucht der Film ein in seinen Kosmos, der hinter dem tragischen Grundtenor noch von politischen Abhängigkeiten im Hinterland erzählt und beinahe augenzwinkernd mit einer kleinen Liebesgeschichte aufwartet. Die Tragödie selbst, die Inszenierung, die Besetzung - Haneke und sein kreatives Team schaffen hier Kunst. Das färbt ab bis hin zur Sprache der Figuren. Doch wirkt auch die, wie der gesamte Film, nie künstlich, sondern immer kunstvoll.
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