Eine schöne Ausstellung. Zu sehen ist durchweg gegenständliche Malerei in leuchtenden Farben auf großen, weitsichtigen Formaten; keine Darstellung lässt Zweifel an dem, was zu sehen ist. Oder doch? Der Fotorealismus als Stilrichtung ist nicht nur eine Demonstration virtuoser handwerklicher Fertigkeiten, sondern auch eine kritische Hinterfragung der Wirklichkeit: Was sehen wir überhaupt, was ist Schein, was Widerspiegelung? Themen und Motive sind die Warenwelt, das Glitzernde der Stadtmöblierung, neben die etwa das ländliche Leben und die Klischees der Geschwindigkeit, das Elegante, Luxuriöse von Fahrzeugen, treten, sowie das Porträt als Psychogramm. Auffällig ist, dass der Mensch weitgehend im Hintergrund bleibt, Städte und Orte oft unbelebt sind. Dadurch wurden vor allem in der Frühzeit des Fotorealismus städtebauliche Aspekte deutlich, die den Wandel der Städte zum Stereotypen und Durchgestylten thematisierten.
Die Schau im Osthaus Museum in Hagen stellt drei Generationen Fotorealistischer Malerei seit ihrer „Erfindung“ vor. Sie zeigt deren Vielschichtigkeit, Entwicklung und Berechtigung über Jahrzehnte. International bekannt wurde die Fotorealistische Malerei auf der documenta in Kassel 1972. Sie ging überwiegend von den USA aus und war Reaktion auf die Pop Art, ohne deren Bekanntheit zu erreichen. Wo sich Pop Art auf schablonenhafte Darstellungen, oft grelle Farben und Ausschnitte beschränkt, wendet sich der Fotorealismus den größeren Zusammenhängen zu. Dazu übertrugen die Maler die eigenen Fotografien penibel mit dem Pinsel und der Spritzpistole auf die Leinwand und legten doch Wert darauf, dass es sich um Malerei handelt. Allen voran Richard Estes, der vielleicht berühmteste US-amerikanische Vertreter dieser Richtung. Er ist mit zwei Werken in der Hagener Ausstellung vertreten. Bei beiden Bildern schauen wir durch Schaufensterscheiben, die leichte Spiegelungen mit sich bringen und erst allmählich in ihrer Logik zu „durchschauen“ sind. Die kleinformatige Ölmalerei „Airport“ (1981) zeigt das Rollfeld mit einem Flugzeug. Alles ist gemalt mit feinem Pinsel, der jeden Strich erkennen lässt, auch beim Blau des Himmels. Zugleich hat Estes kleinere Farbspuren stehen lassen und Übermalungen nicht auf Teufel komm raus kaschiert: Wozu auch?
Weitere Stars der Ausstellung sind Chuck Close, der seine Porträts aus unzähligen Farbpixeln zusammen setzt, was an das mediale Bild denken lässt. Auf europäischer Seite ist Konrad Klapheck vertreten, der mit der „dingmagischen“ Darstellung von Maschinen berühmt wurde. „Stars“ sind weiterhin der Schweizer Franz Gertsch mit einem Interieur, das den Ausstellungsmacher Harald Szeemann zeigt sowie der Brite John Salt, von dem das betörende Gemälde „Bride“ (1969) zu sehen ist: Der Blick dringt durch ein Auto in seiner Breite. Der rote Polsterbezug besitzt eine enorme Stofflichkeit. Indem die Autotüren geöffnet sind, werden wir zu Augenzeugen bei einem glasklaren und doch irgendwie rätselhaften Moment mit dem Stolz des Besitzers und der Abwesenheit von Menschen.
Der Fotorealismus deckte im Lauf der Jahrzehnte so ziemlich alle bildnerischen Gattungen ab. Neben die Stadtlandschaften und Porträts treten Genreszenen und Stillleben, die tatsächlich wie eine Fotografie aussehen. Deutlich wird in der hervorragenden Hagener Zusammenstellung auch, wie sich künstlerische Fragestellungen gewandelt haben. Zu den Maßnahmen gehört nun die Arbeit mit filmischen Effekten und dem Zitat der Kunstgeschichte. Oder der Ausschnitt rückt näher, so dass farbige, mithin gewölbte Metallflächen ganz abstrakt werden und sogar zu spiegeln scheinen: Auch da geht es um den Umgang mit Klischees und Perfektion – der Fotorealismus hinterfragt den Fotorealismus.
„Fotorealismus. 50 Jahre hyperrealistische Malerei“ | bis 8.1. | Osthaus Museum Hagen | www.osthausmuseum.de
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