Draußen braut sich ein Schneesturm zusammen. Der Wind und die klirrende Kälte bringen das Leben auf der dänischen Insel Bornholm zum Erliegen. Nur ein Panzerwagen rollt seinen Weg durch das Unwetter. Doch auch im Inneren dieses Tanks ist die Wärme längst den Minustemperaturen gewichen. Es herrscht eine ziemliche Spannung zwischen dem Journalisten Ole, dem Soldaten Eric und der Hebamme Tamara.
Das ist die personelle Konstellation von Sascha Rehs neuem Buch „Aurora“, das auf 184 Seiten wie ein komprimiertes, fast tarantinoeskes Kammerspiel daherkommt. Wie es dazu kommt, dass das ungleiche Trio im Stahlgehäuse an Weihnachten durch diese Schneelandschaft scheppert, das verraten die ersten Kapitel, aus denen Reh bei seiner Lesung im Rahmen der Duisburger Akzente vorlas.
Der Lokalreporter Ole soll hier eigentlich über den Wintersturm berichten, der an diesen Weihnachtstagen hereinbricht. Per Zufall landet er schließlich in besagtem Schützenpanzer, den der Soldat Eric fährt. Sein Auftrag: Er soll die Hebamme Tamara in einen abgelegenen Ort bringen, wo eine Frau namens Aurora in den Wehen liegt.
So ähnlich soll das tatsächlich im dänischen Bornholm geschehen sein. Denn Reh wurde von einem realen Vorfall inspiriert, bei der ein Fotojournalist am Heiligabend eine aufwendige Reise zu einer Notgeburt begleitete: „Diese Konstellation habe ich übernommen und mit einer eigenen Geschichte verbunden“, so der Autor, der bereits mit seinem letzten Roman tatsächliche Begebenheiten aufgriff: In „Gegen die Zeit“ erzählte Reh aus der Sicht eines deutschen Industriedesigners vom blutigen Pinochet-Putsch gegen die demokratisch gewählte, sozialistische Allende-Regierung.
Ging es in „Gegen die Zeit“ noch um Aufbruch und Verrat, so verpackt Reh in „Aurora“ tiefere Motive geschickt in den Wortwechseln seiner drei Figuren. „Die verweisen ja auf viele gesellschaftliche Fragen“, sagt der Autor über diese Dialoge. Denn zwischen seinen Figuren braut sich schließlich im Tank ein Sturm zusammen, in dem sich Frontstellungen wie in einem gesellschaftlichen Mikrokosmos entladen. Themen wie Rassismus und Geschlechtergerechtigkeit verwebt Reh zu einem wendungsreichen Plot. „Das Spannende ist ja nicht das Scheitern, sondern wie die Figuren damit umgehen“, sagt der gebürtige Duisburger. Das Ergebnis liest sich wie ein Psychothriller, der gesellschaftliche Spannungen zu einem Kammerspiel verdichtet.
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