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Foto: Frank Schorneck

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07. November 2022

Deep Purple in Oberhausen – Musik 11/22

Vielleicht muss zu Beginn dieses Konzertberichts ein Geständnis stehen: Beim letzten Mal, dass der Verfasser dieser Zeilen Deep Purple live erlebt hat, weilte Jon Lord noch unter den Lebenden und Ritchie Blackmore gab noch nicht den Minnerocker in Strumpfhosen und Stulpenstiefeln. 1987 war das, als in der bis unter das Dach vollgepackten Westfalenhalle die erste Deutschland-Tour nach der Reunion frenetisch gefeiert wurde. 35 Jahre später – Purple waren seitdem fast jährlich in Deutschland unterwegs - kann man ja mal schauen, was die alten Herren noch so auf die Beine stellen.

Die Oberränge der Rudolf Weber-Arena weisen doch erhebliche Lücken auf, im Innenraum geht es ebenfalls entspannt zu. Auch am Vorverkauf für Rock-Legenden gehen die Corona-Verunsicherungen offenbar nicht spurlos vorüber. Um Punkt 20 Uhr verlöschen die Lichter und mit Jefferson Starship betritt eine Band die Bühne, deren Wurzeln ähnlich weit zurückliegen wie die von Deep Purple. Die Band firmierte im Laufe der Jahrzehnte bei munterem Personalwechsel unter den Namen Jefferson Airplane, Starship und eben Jefferson Starship. Selbst Wikipedia hat irgendwie nicht mitbekommen, dass es die Band offenbar noch oder wieder gibt. Ob sie mit ihrem Soft-Rock die beste Wahl als Einheizer für Deep Purple sind, mag man bezweifeln. Aber natürlich kann in der Halle so gut wie jeder die Klassiker „Sara“, „Nothing’s Gonna Stop Us Now“, „We Built This City“ oder „Somebody to Love“ mitsingen. Vermutlich ist aber auch gerade das das Problem: Man meint, einer Coverband bei einem Stadtteilfest zu lauschen – abgesehen davon, dass man auf einem Stadtteilfest keine 6,20 Euro für 0,4 Liter Bier bezahlen muss.

Funkelnder Highway Star                     

Um kurz nach 21 Uhr kann es dann endlich richtig losgehen und – man mag es kaum glauben: „Highway Star“ ist der Opener, exakt wie vor 35 Jahren in Dortmund. Man hat zwar den Eindruck, dass das Tempo auf diesem Highway gegenüber damals ein wenig gedrosselt ist, aber ansonsten sind sie wieder da: Roger Glover am Bass und Ian Paice am Schlagzeug sorgen für Druck und Ian Gillans Stimme klingt für seine mittlerweile 77 Jahre noch überraschend kraftvoll. Der 2012 verstorbene Jon Lord hatte bereits vor 20 Jahren die Tasteninstrumente an Don Airey weitergereicht, Youngster Simon McBride (Jg. 1979) hingegen ist ein ganz frischer Neuzugang an der Gitarre, seit Steve Morse in diesem Jahr seinen Ausstieg aus der Band erklärt hat. Deep Purple kommen ohne großes Bühnenbild aus, alle Instrumente sind ebenerdig und gleichwertig aufgestellt, drei Leinwände transportieren Detailfülle. Im Fall des unter den Achseln tief ausgeschnittenen Shirts von Ian Paice, der in diesem Outfit hinter seinem Drumkit wirkt wie ein britischer Trucker auf dem Weg zur Fähre, hätte man vielleicht gerne auf die hohe Auflösung verzichtet. Aber Don Airey schaut man beim beeindruckenden Keyboardspiel gerne auf die im Zoom überraschend wurstig wirkenden und dennoch flinken Finger. Auch Ian Gillan sieht man in Nahaufnahme die Anstrengung an, die hohen Töne zu treffen. Aber seine Mimik verrät auch, mit welcher Leidenschaft er immer noch Musik macht. Klar, eine stimmliche Herausforderung wie „Child in Time“ steht nicht mehr auf der Setlist und die Vocals duellieren sich nicht mehr mit Gitarre und Orgel, aber das tut der Energie insgesamt keinen Abbruch.

Sprung in die 1970er

Apropos Setlist: Mit gleich sechs Songs stammt fast die Hälfte des gespielten Materials vom legendären 1972er-Album „Machine Head“: Von „Highway Star“ über „Pictures of Home“, dem ausufernden „Lazy“, dem hochemotionalen „When a Blind Man Cries“ über „Space Truckin‘“ zum unvermeidlichen „Smoke on the Water“, das das reguläre Set beendet. Von der aktuellen Platte „Whoosh!“, immerhin Titel der Tour, sind nur zwei Songs dabei. Aber das ist es ja auch, was sich das mal mehr, mal weniger in Würde ergraute Publikum wünscht: Eine Reise zurück in die Zeit ausufernder Soli und Improvisationen, weg vom Dreiminuten-Radiobrei, Ausflüge zu Jazz, Funk, Soul, Klassik und immer wieder zurück zu treibendem Blues und Hardrock. Der 43-jährige Jüngling an der Gitarre hinterlässt übrigens einen großartigen Eindruck. Die Exzentrik Blackmores geht ihm ab, aber er ist ebenfalls hochvirtuos, setzt eigene Akzente, ohne die Fans der Originalversionen zu verprellen. Was allerdings in Oberhausen auffällt, ist die Bewegungsarmut im Publikum. Vereinzelt zeigt sich im Innenraum mal ein Headbanger, auf den Rängen bleibt man sitzen, wippt kaum mal mit dem Fuß. Als bei „Smoke on the Water“ dann doch eine Reihe aufsteht, liegt das daran, dass es jemanden ausgerechnet während des Über-Hits zum Klo drängt – die Blase macht anscheinend doch keine 90 Minuten mehr mit. Und so setzt nach „Smoke“ auch schon eine gewisse Bewegung zu den Ausgängen an, obwohl das Konzert mit „Hush“, einem Bass-Solo von Roger Glover und dem fulminant ausufernden „Black Night“ noch einen phänomenalen Ausklang findet. Deep Purple beweisen, dass Rock’n Roll immer noch lebt – es ist das Publikum, das halb tot wirkt.

Frank Schorneck

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