Wer Qntal nur von ihren Studioalben kennt, wird bei ihren Auftritten überrascht (beides gilt für den Autor dieses Textes). Zwar ist das Musikprojekt dafür bekannt, historische Lieder vergangener Epochen mit Elektronik zu verheiraten. Die träumerischen Klänge, die sonst direkt von einer Feeninsel oder zumindest einem weidenreichen Teichufer zu stammen scheinen, scheinen aber auf dem Weg auf die Bühne einen längeren Aufenthalt in Dark-Disco-Land gehabt zu haben. Die Beats haben hier viel mehr Präsenz, ohne sich aufzudrängen. Es sind unverkennbar dieselben Stücke, nur eben rhythmusbetonter interpretiert. Überhaupt überraschte die Startaufstellung der Band: Gesang, E-Bass, E-Gitarre, Schlagzeug. So weit, so rockig … so gewöhnlich?
Mitnichten! Wiegt der Opener „Flaming Drake“ das Publikum noch in Sicherheit (doch, wie gesagt, nicht so sanft wie auf der 2014er-Album-Aufnahme), so kommen sehr schnell die die unterschiedlichen kuriosen Instrumente, mit denen die Bühne vollsteht, zum Einsatz.
Instrumentelle Vielfalt
Es ist erstaunlich, wie viele Saiteninstrumente Michael Popp beherrscht: Außer auf der Gitarre zupft, kloppt und streicht er auf allerhand modernen und traditionellen Gerätschaften herum, unter denen ich Hackbrett (eine Art liegende Harfe, die man mit Hämmerchen bespielt), Oud (eine orientalische Laute) und Rebec (ein Vorläufer der Violine aus dem 10. Jh.) identifizieren möchte. Die Experimentierfreude der Band zeigt sich auch daran, dass an diesem Abend erstmals zwei ganz neue Instrumente zum Einsatz kommen: eine chinesische Mundorgel sowie eine Rinderhornflöte.
Nicht ständig auf der Bühne und trotzdem oder gerade deswegen sehr präsent ist Naranbaatar Purevdorj. Der ergänzt das Ensemble nicht nur mit der zweisaitigen Pferdekopfgeige, sondern auch mit dem immer wieder faszinierenden mongolischen Kehlkopfgesang, der gleichzeitig brummt wie ein Büffel und pfeift wie Wind, der durch ein Kristallglas pfeift.
In der Rhythmussektion ist es Schlagzeuger Markus Köstner, der punktgenau für den richtigen Rumms sorgt. Bassist Christian Käufl alias El Conde tauscht den Viersaiter auch mal gegen eine Gitarre aus, während er gleichzeitig mit Laptop, Synthesizer und weiterem beschäftigt ist.
Whiskey zur Quelle
Im Mittelpunkt der Musik wie auch der Bühne steht Sigrid „Syrah“ Hausen. Der Kulttempel erhält durch Syrahs Gesang eine Berechtigung für seinen Namen. Ihre Stimme ist hell wie ein Sonnenstrahl und verleiht jedem einzelnen Lied – sei es nun tanzbar aufgepeppt – etwas Sakrales. Selten geht es dabei aber in eine strenge liturgische Richtung. Syrah ist eher Druidin als Priesterin. So sind auch die Texte historischen Schriften entnommen.
Doch wie spricht man alte keltische Quellentexte aus? Zwischen den Liedern plaudert Syrah aus dem Nähkästchen. Sie habe dafür einen fachkundigen Whiskeytrinker konsultiert. Jenes Lied dann wieder sei von Walther von der Vogelweide, das nächste gefalle ihr persönlich nicht so gut, aber nun gut, und beim übernächsten wiederum komme der mongolische Ober-, Unter- und Nebentongesang von Naranbaatar zum Einsatz. Und bei jeder Ansage, bei jedem Applaus strahlt sie eine Sanftheit und Güte aus, dass man wirklich glaubt, sie empfange ihre Musik aus dem Feenreich. Selbst dann, wenn sie das nächste Stück als „Brachialromantik“ ankündigt. Brachial wurde es allerdings nie, romantisch die meiste Zeit. Abwechslungsreich die ganze Zeit.
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