Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.560 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

„Die Orestie“
Foto: Thomas Rabsch

Das Ende der Blutrache

28. September 2017

Simon Solberg inszeniert „Die Orestie“ in Düsseldorf – Theater Ruhr 10/17

Im Schlachthof der Atriden herrscht Hochbetrieb. Seit die Götter sich von Ahnherr Tantalos über den Tisch gezogen fühlten, haben sie seiner Familie das Dauergemetzel verordnet. Aischylos‘ Trilogie „Die Orestie“ zeigt, wie diese Mordmaschinerie allmählich  ins Stottern kommt, wenn Agamemnon von seiner Ehefrau Klytaimnestra und ihrem Lover Aigisthos erschlagen und das Mörderpaar wiederum von Sohn von Orest gekillt wird, bis ein göttliches Gericht dem Treiben ein Ende macht. In Simon Solbergs Interpretation am Düsseldorfer Schauspielhaus scheint die Atriden-Family ziemlich hiesig zu sein. Die einzelnen Stücke der Trilogie werden in altdeutscher Frakturschrift angekündigt, die Namen der Bundesländer sind anfangs auf die vielfach terrassierte, ansteigende Spielfläche projiziert.

Und Klytaimnestra (Minna Wündrich) hat sich ganz altmodisch einen Zopf um den Kopf gebunden. Aus welchem Krieg kehrt Agamemnon (Thomas Wittmann) hier zurück? Aus Troja? Oder einem anderen großen Krieg? Der Feldherr, der seine Tochter Iphigenie für das Kriegsglück geopfert hat, sieht im Cordanzug mit Balkenbrille und Aktentasche wie ein biederer Bürokrat der Gewalt aus. Hockt sich an seinen Schreibtisch, während der Chor ihn umringt, und erzählt. Vom Krieg. Aber man hört den Hang zum Autoritären. Und auch Klytaimnestra ist kein Kind von Traurigkeit, zwingt das Volk nieder zum roten Teppich für den verhassten Mann, dem sie später mit Pathos den Tod der Tochter vorwirft und mit ihrem eitlen Bettgenossen Aigisthos (Stefan Gorski) den Garaus macht – mit einem Eimer voll Farbe, der immer zum Einsatz kommt, wenn’s an diesem Abend blutig wird. Der Chor ist der Gewinn dieser ansonsten problematischen Inszenierung. Er wird von sieben Folkwang-Studenten als höchst bewegliche Truppe in langen Unterhosen gespielt, die nicht nur kommentieren, sondern Einspruch erheben, opponieren, dann wieder kuschen und duckmäusern. Die ganze Palette.

Bei Aischylos sorgt die Göttin Athene nach Orests Mord an Mutter und Lover für einen Freispruch und legt das Gericht für die Zukunft in die Hände des Volkes. Der göttliche Blutrachezirkel ist damit ausgehebelt. Bei Solberg ist der Himmel komplett leer, kein Apoll, keine Athene. Gewalt ist menschengemacht. Das wird zum Problem: Nachdem Orest (Jonas Friedrich Leonhardi als terrorbereiter Nerd) den Farbeimer über Muttern ausgekippt hat, fliegt die Bühne auseinander. Den Prozess über ihn führt dann seine Schwester Eurydike (Lieke Hoppe), die die Rechtsprechung schließlich auf das Volk überträgt. Geben die Atriden als Herrscher-Elite also freiwillig die Macht ab? Oder wird eine autokratische Demokratie von einer liberalen Demokratie abgelöst? Schließlich verkündet Kassandra (Claudia Hübbecker) das Paradies der Gewaltlosigkeit, des Gastrechts und ohne Kapitalismus. Wir müssten nur miteinander reden – damit strandet Solbergs Interpretation endgültig in blauäugiger Hoffnung, oder man kann auch sagen in den schlammigen Niederungen der Naivität.

„Die Orestie“ | R: Simon Solberg | 3., 22.10. je 18 Uhr, 13., 19.10. je 19 Uhr | Düsseldorfer Schauspielhaus | 0211 36 99 11

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Challengers – Rivalen

Lesen Sie dazu auch:

Die Erbsen sind immer und überall
„Woyzeck“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Prolog 02/24

Unberührbare Souveränität
Frank Wedekinds „Lulu“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 03/20

Die Macht, ihr Preis und die Tradition
Düsseldorfer Schauspielhaus feiert 50-jähriges Bestehen – Theater in NRW 01/20

Donna Quichotta der Best Ager
„Linda“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 01/20

Lulle und Enterhaken
„Ein Blick von der Brücke“ im Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 05/19

Schlachtfeld der Phantasie
„Hamlet“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 03/19

Küchenpsychologie der Macht
„Momentum“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 01/19

Wie es den Kwants gefällt
Philipp Löhles „Die Mitwisser“ in Düsseldorf – Theater Ruhr 06/18

Bad Feeling vs. Feel-Good
„Der Sandmann“ in Düsseldorf und „Natürlich blond“ in Wuppertal – Musical in NRW 12/17

Travestie und Lumpenchic
Brechts „Dreigroschenoper“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 12/17

Mäzene bitte melden!
Düsseldorf saniert sein Schauspielhaus mit Spenden – Theater in NRW 11/17

Träum weiter
„Der Sandmann“ in Recklinghausen und Düsseldorf – Theater Ruhr 06/17

Theater Ruhr.

Hier erscheint die Aufforderung!