Es ist ein beeindruckend breites Bündnis, dass sich im April gegen das geplante Versammlungsgesetz der schwarz-gelben Landesregierung formiert hat. Hatten im Januar und Februar dieses Jahres vor allem linke, antifaschistische und -rassistische Initiativen, Organisationen, Parteien und Aktivisten gegen das Gesetz mobilisiert, haben sich mittlerweile auch die Bildungsgewerkschaft GEW und ein landesweiter Zusammenschluss von Fußballfanhilfen dem Bündnis „Versammlungsgesetz NRW Stoppen! – Grundrechte erhalten!“ angeschlossen. Sie alle befürchten, demnächst von der geplanten Verschärfung des Versammlungsgesetzes negativ betroffen zu sein. „Der Entwurf ist ein Angriff auf die Demokratie – auf uns alle. Dem stellen wir uns trotz aller Unterschiede in unseren Ansichten, Strategien und Aktionsformen gemeinsam entgegen“, hieß es im Aufruf des Bündnisses zu einer landesweiten dezentralen Aktionswoche mit Veranstaltungen auf Straßen, Plätzen und im Netz in der Woche vor und am Pfingstwochenende. Ernüchtert zeigte sich Bündnissprecherin Michèle Winkler hingegen über das „weitgehende Desinteresse in der breiteren Medienlandschaft und Zivilgesellschaft an den geplanten umfangreichen und dauerhaften Beschränkungen der Versammlungsfreiheit“.
„Autoritäres Staatsverständnis“
Bei einer Demonstration in Köln gegen die Pläne der CDU-FDP-Landesregierung unter Führung des Ministerpräsidenten und CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, kamen am Samstag über 500 Teilnehmer zusammen – unter strikter Beachtung von Abstands- und Hygieneregeln – und zogen vom Heumarkt durch die Innenstadt zum Friesenplatz. Weitere Versammlungen fanden am Freitag und am Pfingstwochenende in Duisburg, Aachen, Bonn und Mönchengladbach statt. Kritisiert wird unter anderem die geplante Ausweitung der Videoüberwachung von Versammlungen unter anderem mit Hilfe von Drohnen; die Kriminalisierung einheitlicher Kleidung, wie z. B. der weißen Maleranzüge der Klimagerechtigkeitsbewegung Ende Gelände; anlasslose Polizeikontrollen und Durchsuchungen, die den Zugang zu Demonstrationen zukünftig erschweren. Das Bündnis lehnt die Strafandrohung von bis zu zwei Jahren Haft für die Vorbereitung von Blockaden und Störungen unter anderem von Naziaufmärschen strikt ab. „Das Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzentwurfs würde zu einem „Versammlungsverhinderungsgesetz“ führen“, hieß es im Demo-Aufruf. Und weiter: „Gesetzestext und Begründung sind geprägt von einem autoritären Staatsverständnis, welches politische Aktivität außerhalb der parlamentarischen Kanäle misstrauisch und mit Widerwillen betrachtet.“
Gegen „Versammlungsverhinderungsgesetz“
Gerade im Hinblick auf die Sorgen der Fußballfans hatte der Innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, Christos Katzidis, eine „Menge Missverständnisse“ rund um den Entwurf ausgemacht, wie ihn die Nachrichtenagentur dpa Anfang Mai zitierte. Katzidis hatte gesagt: „Natürlich müssen sich Fußballfans keine Sorgen machen, wenn sie gemeinschaftlich mit Trikots oder anderen Outfits unterwegs sind.“ Worte, denen die Fans offensichtlich nicht trauen. Bereits Anfang Mai hatten sich mehrere Fanhilfen in NRW zusammengeschlossen und in einer gemeinsamen Erklärung das Gesetzesvorhaben und dessen „unbestimmten Wortlaut“ scharf kritisiert. Auf dem Heumarkt machte ein Sprecher vom Kölsche Klüngel, der Fußballrechtshilfe für Fans des 1. FC Köln, in einer kämpferischen Rede deutlich: „Fanmärsche sind für uns elementarer Bestandteil unserer Fankultur.“ Sollte das Versammlungsgesetz aber wie geplant Inkrafttreten, könnte die Polizei Fanmärsche zum Stadion – beispielsweise bei Auswärtsspielen – als nicht angemeldete Versammlung untersagen. Auch das Auftreten im jeweiligen Cluboutfit könne vor Ort von der Polizei unter Hinweis auf das verschärfte Militanz-Verbot und der damit verbundenen Kleiderordnung, zu einem Verbot führen. „Dabei wollen wir doch einfach nur zum Fußball fahren“, sagte der Sprecher weiter.
Eingeschränkter Arbeitskampf
Auch die Gewerkschaften kritisieren den Gesetzentwurf massiv. Zwar hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB NRW) Anfang Mai begrüßt, dass das Land künftig verhindern wolle, dass Rechtsextremisten und Neonazis symbolträchtige Orte und Gedenktage zum Nationalsozialismus für Aufmärsche missbrauchten. Doch wie die Fußballfans hatte auch der DGB kritisiert, dass einige Regelungen zu unbestimmt, andere nicht praxistauglich seien, wie es in einer Stellungnahme für eine Expertenanhörung im Landtag hieß. Für den Stadtverband Köln der Bildungsgewerkschaft GEW konkretisierte Eva-Maria Zimmermann, was aus Gewerkschaftssicht nicht „praktikabel“ ist: Mit einer künftig festgeschriebenen Anmeldefrist von „48 Stunden plus Samstage, Sonn- und Feiertage“ vor Versammlungen sei flexibles Agieren in Arbeitskämpfen und bei Streiks nicht möglich. Noch problematischer fand die GEW-Vertreterin, dass Anmelder künftig in der Einladung „namentlich genannt“ werden sollen. Das werde viele Menschen davon abhalten, Versammlungen anzumelden. Zum einen müssten sie befürchten, dass ihr Arbeitgeber erfahre, dass sie sich gewerkschaftlich oder politisch engagieren; zum anderen bestehe gerade bei gesellschaftlich-progressivem Protest die Gefahr, dass die Namen der Anmelder auf „Feindeslisten von Rechten“ landen. Das abschließend vernichtende Urteil der Gewerkschafterin, die mit tosendem Beifall von den Versammlungsteilnehmern bedacht wurde: Man merke dem Gesetzentwurf an, dass er von Menschen verfasst worden sei, die eine Menge „Sitzfleisch haben, aber leider keine Ahnung von der politischen Praxis auf der Straße“.
Der Protest geht derweil weiter. Am 26. Juni 2021 will das Bündnis für eine Großdemonstration in Düsseldorf mobilisieren.
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