Zu den künstlerischen Begleiterscheinungen der Pop-Pioniere gehörten bekanntlich die Musikvideos. In der Blütephase der Neo-Avantgarden in den 1960er Jahren ergänzten die Clips die experimentelle Musik, bevor das Format seit Queens „Bohemian Rhapsody“ zum Standard-Repertoire der Musikindustrie aufstieg. Entsprechend programmatisch hieß es in den 80er Jahren: „Video kills the Radio Star“.
Auch an diesem Festivalabend unter dem Titel „Transmission“ schauen die Gäste im Tresor West gebannt auf die Leinwand. Dort flimmern auf der Leinwand Musikvideos, in der sich Formen- und Farbspiele vermengen, während die eingeladenen DJs auflegen. Und wer an elektronische Musik denkt, stellt sich vielleicht Szenen vor, in denen berauschte, subkulturelle Massen zu den Beats stampfen. Das Festival „Blaues Rauschen“ hat sich dagegen einem experimentellen Format verschrieben. In Bochum, Dortmund und Essen trafen vom 25. September bis zum 3. Oktober avancierte elektronische Musik auf Installationen und Performances. Schließlich eröffnet die Digitalisierung den Künstler:innen innovative, audio-visuelle Herangehensweisen.
Ernste Unterhaltungsmusik
Und so ist es auch eher ein avantgardistischer Synthesizer-Soundteppich, den Bit-Tuner aka Marcel Gschwend im Tresor West ausbreitet, eher ernste, weniger Unterhaltungsmusik – falls dieses Klassifikationsschema überhaupt berechtigt erscheint. Zumindest sitzt ein Großteil der Gäste auf dem Boden. Und schaut fast kontemplativ auf die Leinwand. Sind es digitale Reminiszenzen an die abstrakte Malerei oder eine Art Zellen, die da auf der Leinwand erscheinen? Wirklich entziffern lässt sich das nicht. Im Gegensatz zum wuchtigen Soundtrack, der anfangs erklingt und an ein pathetisches Leitmotiv von Hollywood-Blockbustern erinnert. Bit-Tuner fuhrwerkt zwischen Notbooks, Mischpulten und Kabelgestrüpp herum. Die gesamte Show ist live abgemischt und wird von dem Filmemacher Joerg Hurschler unterstützt, der die visuelle Ebene an die Wand projiziert. Die Performance oszilliert damit zwischen cineastischen Anspielungen, assoziativem Storytelling und den brodelnden Beats, die zwischendurch in der Halle scheppern.
Ein tanzbarer Rhythmus stellt sich dabei nicht ein; der wird von experimentellen Formaten auch nicht erwartet. Sound-Collagen wie ein paar Tage zuvor „Wald und Klang“ in der Bochumer Rotunde greifen eher das Noise-Subgenre auf, wenn sie die Geräuschkulisse aus Bäumen, Wild oder Holz ins urbane Nachtleben pfropfen. „Blaues Rauschen“ gewährt damit einen spannenden Einblick in die experimentelle Elektromusik, die anspruchsvollen, künstlerischen Pioniergeist offenbart. Auch Bit-Tuner verbeugt sich eher wie ein klassischer Pianist zum Applaus des Publikums und verweist auf sein Vinylplatten-Angebot. Bevor er schließlich von Rasmus Nordholt-Frieling abgelöst wird, der gleich ertönen lässt, wie sehr er es versteht, heterogenes Klangmaterial zu samplen: barocke Arien, westafrikanische Polyrhythmik oder Anspielungen auf die Avantgarden des letzten Jahrhunderts – alles dabei. Und zuweilen tanzbar.
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