Eine erstaunliche Ausstellung über Erwartungen an Bilder und deren Enttäuschung und über den Umgang mit den Überlieferungen der Vergangenheit. Ein bisschen ratlos lässt einen die Ausstellung von Sibylle Springer zurück, vielleicht weil die Interpretation mit derart viel handwerklichem Aufwand ganz an die Betrachter delegiert ist. Schönheit und Luxus scheinen aus der Ferne geschildert, aus der Nähe sind es Pornografie und Grausamkeit. Erklärungsbedürftig bleibt die Folge der drei kleinen Gemälde, die Frauenporträts in die Farbschichten verweben.
Genau genommen bilden alle Werke im Raum eine zusammengehörige Installation. Sie besteht aus einer „Wolke“ aus kopierten Schnipseln mit überwiegend pornografischen Darstellungen, darunter einige Scheußlichkeiten aus verschiedenen Zeiten und Kulturen, die lapidar an der Ausstellungswand fixiert sind und sich in ihrer Dichte zu den Rändern hin auflösen. Dazu kommen – neben den drei kleinen Malereien – zwei größere Gemälde, die durch die Fensterscheibe des Kunstvereins wie eine unruhig bewegte gräuliche Malerei aussehen, dazwischen schimmert es wie Kupfer und erweckt so den Eindruck des Kostbaren. Aus der Nähe und einem bestimmten Winkel aber erkennt man inmitten der changierenden, wie ausgeschütteten Farbschichten Szenen der Folterung. Im einen Bild könnte man sie im Kolonialismus, im anderen in mittelalterlichen biblischen Illustrationen verankern. Die figurative Zeichnung hat vor allem in diesem Bild etwas ausgesprochen Feines, Exquisites – umso erschreckender wirkt die wie selbstverständlich vorgetragene Darstellung einer Häutung.
Gewiss ist die Ausstellung auch ein Kommentar über den Umgang mit Bildern und wie wir sie zwischen auf Distanz gesetzter Erinnerung und bewusster, sozusagen körperlicher Vergegenwärtigung verarbeiten. Die winzigen, recht billig kopierten pornographischen Bilder lassen an die Datenflut des Internets denken; demgegenüber steht die Einzigartigkeit der Malerei, die sich aber auch wie ein Mantel des Vergessens oder jedenfalls Milderns über die dokumentierten Ereignisse legt. Die Malerei ist toll!
Sibylle Springer – Shoot The Freak | bis 25.2. | Kunstverein Ruhr in Essen | www.kunstvereinruhr.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
Wege der Vermittlung
Radtouren auf dem Emscherkunstweg
Neues aus der Kunstszene
Discovery Art Fair in Köln
Einfach mal anders
Das stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen geht eigene Wege – Festival 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Diplomatie kreativ
Ingo Günther im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 02/24
Zur Liebe
„love/love“im Künstlerhaus Dortmund – Ruhrkunst 09/23
Kunst und Umgebung
„Produktive Räume“ in Haus Lange Haus Esters in Krefeld – Kunst in NRW 08/23
Kunst kommt zum Publikum
bobiennale vom 11 bis 21. Mai in Bochum – Festival 05/23
Draußen, immer
Ein Skulpturenprojekt in Monheim – Kunst in NRW 02/23
Forschungsstation Zivilisation
Andrea Zittel im Haus Esters Krefeld – Kunst in NRW 12/22
Junge Schwarze Formensprache
Dozie Kanu im Neuen Essener Kunstverein – Ruhrkunst 11/22
Utopie und Verwüstung
„The Paradise Machine“ in Dortmund – Ruhrkunst 04/24
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24
Unter unseren Füßen
Archäologie der Moderne im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/24
Ausdruck der Zeit
Expressionismus-Sammlung im Märkischen Museum Witten – Ruhrkunst 01/24
Visionen von Gemeinschaft
„Wir ist Zukunft“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/24
Das bisschen Haushalt …
„Kochen Putzen Sorgen“ im Quadrat Bottrop – Ruhrkunst 12/23
Unorte im Fokus
„Die Stadt ist anderswo“ im Bochumer Museum unter Tage – Ruhrkunst 12/23
Konkret gemalt
„Colours and Lines in Motion“ in Gelsenkirchen – Ruhrkunst 11/23
Auf nach Phantásien!
Illustrationen zu Michael Endes Geschichten in Oberhausen – Ruhrkunst 10/23
Im Herzen des Bunkers
Marianne Berenhaut in Recklinghausen – Ruhrkunst 09/23