trailer: Frau Bouschen, schwule Spieler im Fußball – musste das irgendwann ins Theater?
Maike Bouschen: Ja, das musste es. Es ist wirklich ein Zufall, dass jetzt die WM ansteht. Wir haben so oder so mit dem Thema gespielt, allerdings hatte ich ursprünglich mit Kathrin Mädler über das Thema Journalistinnen im Sport gesprochen. Dann hatte aber unser Dramaturg Jascha Fendel dieses Stück gefunden. Das hat eine ganz besondere Weise, wie es geschrieben ist. Natürlich ist dieses Thema sowieso brisant – im Hinblick auf die WM jetzt insbesondere. Gerade hat der katarische WM-Botschafter Khalid Salman gesagt, dass Homosexualität ein geistiger Schaden sei. Das Thema hat also jetzt noch mehr Brisanz bekommen. Umso mehr bestätigt das, dass das Thema auf die Bühne gebracht werden muss. Theater kann so Themen auf ganz eigene Art und Weise behandeln. Mit Fiktion, mit Absurdität, auch mit Humor – das Stück „Zwei Herren von Real Madrid“ hat einen unglaublichen Witz und dadurch wirkt das aus dem realpolitischen Kontext heraus, was ich auch gut finde, denn das ermöglicht eine andere Basis, um ins Gespräch zu kommen. Ich finde, das Stück hat eher etwas Versöhnendes als etwas Provokantes. Wenn man dieses Thema beispielsweise über den Aufhänger „Innenministerin Faeser geht nach Katar und spricht die LGBTQ -Rechte an“ intoniert, dann prallen eher zwei Seiten aufeinander. Das Theater ist ein Raum, es versucht, das nicht zu tun, es versucht, einen Diskurs zu eröffnen, und deshalb glaube ich, dass das Theater prädestiniert ist, dadurch auch eine andere Perspektive oder Gesprächsgrundlage zu finden und einen anderen Witz und eine andere Sichtweise auf die Dinge. Es ist nicht immer dieses Provokante oder Markante, sondern dieses Stück hat so eine Zärtlichkeit und das ist so schön.
Aber Drachen als normale Haustiere klingt ja eher nach absurdem Theater.
Ja, das ist auch absurd. Der Drache ist meine Lieblingsfigur. Dazu stirbt die Mutter des einen Fußballers an einem Bananenbrot und Sergio Ramos erzählt von einem Akropolis-Tattoo in seinem Gesicht. Allein, dass sich zwei Fußballer im Wald treffen und zufällig feststellen, dass sie im selben Team spielen … Also man weiß von Anfang an, wozu man im Oberhausener Theater ist, nämlich sich das Ganze auf eine humorvolle Weise anzuschauen, und das Stück hat überhaupt nichts Moralisches, überhaupt nicht.
Der Fußball mit seinen überbezahlten Spielern ist als Problem also eher nach hinten gerückt?
In der Inszenierung kommt das schon viel vor. Im Stück ist das nicht groß verhandelt, wir machen es mit unserer Setzung aber zum Thema. Das kann ich schon vorab sagen, dass es mir und meinem Team wichtig war. Es hat ja auch einen Grund, warum das Stück im Profifußball und nicht in einem Amateurverein spielt. Es geht also ganz klar um Geld und da ist auch immer die Frage, wieviel Produkt du eigentlich bist, wie viel Einfluss hast du auf deinen eigenen Werdegang, wie viel Einfluss hast du auf dein Privatleben, unabhängig vom Thema der Homosexualität. Aber alle sind in erster Linie ein Spielball dieser Vereine und dieses Geldes. Der Intimität, die dieser Text hat, setzen wir diese Konsum- und Spielerwelt gegen, wir gehen auf jeden Fall damit um. Ich finde, Geld ist genau das Problem in diesem Bereich. Auch in Katar. Das ist das Dilemma.
Und im Stück philosophiert ausgerechnet Sergio Ramos von PSG über Sinn und Vergänglichkeit des Lebens?
Ja, das ist eine meiner Lieblingsszenen von Sergio Ramos, der erstmal über seinen Sommerurlaub philosophiert. Er hat in diesem Moment sowas von einem Fußballgott, womit wir auch szenisch umgehen werden, der die Weisheit geschleckt hat.Das findet im Rahmen einer Pressekonferenz statt, die sich die ganze Zeit auf die Liebesbeziehung der zwei Herren konzentriert,also wenn Sergio Ramos redet, ist das auch wieder charmant, weil er den Fokus wegzieht, bewusst oder nicht. Auch hier hat der Autor es sehr fein geschafft, einerseits diesen Narzissmus der Spieler wie Ramos darzustellen, andererseits macht er das in einer versöhnenden Art und Weise und schützt dadurch die anderen zwei Spieler. Das ist eine Kunst: Keine der Figuren wird degradiert.
Was ist denn das Besondere bei der Inszenierung einer Uraufführung? Ist das anders als bei Stücken, die schon mehrfach gelaufen sind?
Du hast eine irrsinnige Freiheit, weil du noch keine Vorlage hast. Ich arbeite sehr gerne mit Uraufführungen. Aber ich gucke mir auch gerne den 500. Schiller an – keine Frage. Bei einer Uraufführung gibt es aber die Möglichkeit, ganz pur und mit einer ganz eigenen Fantasie daran zu gehen, und ich mag es, wenn es da eine Sprache gibt, die ich so noch nicht gehört habe. Und dann die Freiheit zu haben und auch das Vertrauen vom Haus, vom Autor, dass man da jetzt seine komplett eigene Welt auf die Bühne bringt, erstmalig, das ist immer ganz besonders.Bei uraufgeführten Texten darf nicht zu viel gestrichen oder umgestellt werden und ich habe noch nie ein Stück gehabt, bei dem ich nichts wegtun wollte.Und das hier ist das erste Stück, wo ich sage, ich will gar nichts wegnehmen. Der Text ist so rund und fein und schön und kein Wort ist zu viel.
Letzte Frage: Gibt es echten Rasen auf der Bühne?
Echten nicht, aber mehr verrate ich nicht.
Zwei Herren von Real Madrid | 12. (P) & 15.1.23 | Theater Oberhausen | 0208 857 81 84
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