Traurig, melancholisch, düster hat man die Romanwelten von Zsuzsa Bánk schon beschrieben. Vielleicht trifft das auf ihren mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichneten Debütroman „Der Schwimmer“ zu, in dem die Autorin die erdrückende Atmosphäre nach der Niederschlagung des Aufstands 1956 in Ungarn schildert. Und ihr aktueller Roman „Die hellen Tage“, aus dem sie im Rahmen des Chamisso-Festivals in der Dortmunder Bodo-Bücherei las? Es geht um Verluste, um Schicksalsschläge. Aber die Stimmung ist keineswegs in grau gefangen. Vielmehr schwingt in ihren Sätzen eine verzaubernde, zeitlose Stimmung. Der Bánk-Sound. Etwa in dem Kapitel „Die Ufer des Neckars“, aus dem sie in Dortmund las, und in dem der Vater der Ich-Erzählerin plötzlich stirbt. Wie sie die Trauer, die Leere nach dem Verlust darstellt, hat etwas Schwereloses. Kaum Dialoge, kaum Reflexionen.
„Es gibt Anfeindungen, Brüche und Zumutungen, aber dieses Dreieck hält doch einiges aus“, erzählt die 1965 in Frankfurt am Main geborene Schriftstellerin über die drei Frauenfiguren, deren Geschichten sie in „Die hellen Tage“ kunstvoll verwebt. „Sie sind eine Art Schicksalsgemeinschaft. Sie erkennen etwas an den anderen, was sie zusammen bringt.“ Bis zu ihrem Erwachsenwerden begleitet die Autorin ihre Protagonistinnen. „Ich lebe dann wirklich im Zeitraum mit diesen Figuren“, verrät die Autorin über den Schreibprozess. „Ich habe wirklich gelitten bei Die hellen Tage.“ Die Kindheit, die Jugend, die ihre Figuren durchschreiten, wirken dabei, wie aus der Zeit gefallen. „Ich kann keine Erinnerung an diese Momente haben, aber ich bilde mir ein, ich hätte sie“, erzählt ihre Ich-Erzählerin über den Vater. An die Stelle der Zeiterfahrung rückt ein künstlerischer Raum, den die Erzählerin durchschwebt: Der Geruch des Vaters, der Frühlingsduft, Schneeballschlachten im Winter.
„Ich gehe beim Schreiben in Räume und dieser entwickelt sich beim Schreiben“, so Bánk. „Erst ist ein Bild in meinem Kopf und dann schreibe ich es auf und versuche, Wörter dafür zu finden.“ Dass ihre Erzählwelten dabei so zeitlos daher kommen, streitet die Tochter von 1956 aus Ungarn geflohenen Eltern gar nicht ab: „Es ist kein Roman, der Tagespolitik behandelt.“ Stattdessen intime Konstellationen und wenige Figuren, die für sich stehen: „Für mich braucht es nicht mehr Personal.“
Am Rande der Lesung steht da noch die Frage, was die Schriftstellerin von der Entscheidung der Bosch-Stiftung halte, den Chamisso-Preis für Literatur 2017 das letzte Mal zu vergeben. „Das fand ich irritierend“ erklärt die Chamisso-Preisträgerin 2004, die sich darüber auch mit KollegInnen ausgetauscht hat: „Es geht da allen ähnlich.“ Mit dem von der Bosch-Stiftung finanzierten Preis wurden seit 1985 hierzulande Schreibende mit Migrationshintergrund ausgezeichnet. Darunter renommierte Autoren wie Ilija Trojanow oder Feridun Zaimoglu. Der Preis stand bisher für Mehrsprachigkeit, Multikulturalität, aber auch für die Etikette „Migrationsliteratur“. Dass die Auszeichnung demnächst wegfällt, ist also nicht nur ein Nachteil. Zumindest für die Literatur Bánks. Denn ihre Prosa scheint über diesen Diskurs und diese Zeit ja erhaben zu sein.
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