Wer hat sich noch nicht beim Durchtstreifen von tristen Vororten gefragt, welche Schicksale hinter den traurigen Gesichtern stecken? Oder beim nächtlichen Blick auf leuchtende Hochhauskomplexe, welche Geschichten sich wohl dahinter abspielen? Es ist der Stoff, aus dem auch Clemens Meyers jüngst erschienener Erzählband „Die stillen Trabanten“ ist. Traumwandlerische Begegnungen in der Nacht, zerrissene Existenzen, geplatzte Träume.
Dass seine Erzählungen und Romane oft wenig Hoffnung auf Zukunft lassen, das will Clemens Meyer auf Nachfrage von Claudius Nießen nicht wirklich verneinen: „Auch ein schmerzliches Ende kann etwas Schönes haben“, erklärt er. „Wenn wir zwei Figuren haben, die Abschied nehmen, dann ist das schön für mich.“ Im Duisburger Lokal Harmonie sprach er mit dem vertrauten Weggefährten Claudius Nießen, Literaturjournalist und Geschäftsführer des Deutschen Literaturinstituts, über das eigene Schaffen, Motive oder Inspirationsquellen. Und natürlich las Meyer im Rahmen der Literaturreihe „Über Leben. Von der Hoffnung auf Zukunft“ auch Erzählungen aus seinem neuen Band vor.
Mit einem der klassischsten Motive beginnt seine Erzählung „Die Rückkehr der Argonauten“. Die Frage stellt sich seinem Ich-Erzähler immer wieder: „Hatten sie jemals das Kohlenviertel verlassen?“ Denn zurück in diesem Vorort, irgendwo in der Nähe von Köln, wo die Schornsteine still gestellt sind, die Fabriken leer, die Hinterhöfe karg und trist sind, hier begegnet er alten Freunden und neuen Gestalten. „Das Reich der Schatten und Alpträume“. Wie sie zwischen Schnaps und Schlagern in einer verrauchten Kneipe sitzen, die auf den Ich-Erzähler jetzt noch beengender als früher wirkt, das schildert Meyer präzise und poetisch zugleich. Er gibt ihnen keine Namen. Die Figuren heißen K., H. Oder M. Das erinnert an Kafka. Wenn der Ich-Erzähler sich dann eins wähnt, eins mit diesem so unwirklichen Raum zu sein, sobald er mit ihnen ein Bier trinkt, dann wirkt der Ort wie ein düsterer Moloch, der alle Figuren verschlingt. Mythos statt Sozialkritik.
„Eine Erzählung braucht zunächst einen Kern“, sagt Meyer über seine Vorgehensweise. Dann käme ein Kreis, ein Raum dazu. Das darf ruhig mit eigenen Erfahrungen vermengt werden, wie der zeitweilige Gastdozent am Leipziger Literaturinstitut erklärt: „Das Interessante ist doch, die eigene Biographie in andere Geschichten hinein platzieren zu können.“ Das tat Meyer auch schon in seinem erfolgreichen wie gelobten Debütroman „Als wir träumten“. Nächtlich herumziehende Jugendliche in den Nachwendejahren: Alkohol und Party-Exzesse, Gewalt und Angst. Oft wurde Meyer als sozialkritischer Schriftsteller etikettiert, der authentisch von den Abgehängten dieser Gesellschaft erzählt: brutal, düster, illusionslos.
Doch bereits in seinem Großstadtsepos „Im Stein“ verwob der Leipziger Autor zynische Bordellgeschäfte, kleinkriminelle Machenschaften und gebrochene Prostituiertenexistenzen zu einem Gesellschaftgeflecht über Geld und Macht, aber auch über Hoffnung und Träume. Nüchterne, schonungslose Milieustudien und zugleich surreal, sogar sanft und empathisch. Dieser unverkennbare Sound macht auch die Kurzgeschichten aus, die Meyer an diesem Abend in Duisburg vorliest. Paradoxerweise versprüht er damit so viel Hoffnung wie aktuell wenige deutschsprachige Schriftsteller.
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