Frage ich mich, ob wir mit Rechten reden müssen, fühlt es sich an, als grübelte ich zu lange über die Unendlichkeit des Universums: Mein Gehirn wäre lieber woanders. Ob und wie wir mit Rechten reden, mit rechtspopulistischen bis rechtsextremistischen Menschen, Tendenzen, Aussagen oder Parteien in unserer Gesellschaft umgehen, hängt von vielen Faktoren ab: Von den Personen, die (gegebenenfalls) miteinander sprechen, dem Ort an und dem Rahmen in dem dies geschieht und nicht zuletzt davon, wer zuhört.
Was unter bestimmten Voraussetzungen richtig ist, kann unter anderen unmöglich sein. Wenn Volkhard Knigge, Direktor der Gedenkstätte Buchenwald, nach dem Gespräch mit dem AfD-Abgeordneten Stephan Brandner feststellt, dass es keinen Sinn ergibt, mit Vertretern der AfD zu sprechen, weil diese ihre geschichtsrevisionistischen Positionen gar nicht diskutieren wollen, ist das nachvollziehbar. Eine Demonstration ist kein Ort, mit denen, gegen deren Ideologie man ein öffentliches Zeichen setzen will, in einen sinnvollen Austausch zu gelangen. In Landtagen und im Parlament ist es seit der letzten Bundestagswahl für PolitkerInnen dagegen unmöglich, den Dialog mit der AfD per se zu verweigern. Medien reflektieren seitdem kritischer, ob und wann sie RechtspopulistInnen zu Wort kommen lassen oder deren Themen aufgreifen. Im ZDF-Sommerinterview, das Thomas Walde im August mit Alexander Gauland vor allem zu Rente, Klima und Digitalisierung führte, ging es nicht um die Bekehrung Gaulands. Den ZuschauerInnen wurde dafür aufgezeigt, dass Gauland und die AfD jenseits der Flüchtlings- und Migrationsthematik sehr schlecht informiert sind. Das Argument, Rechte müssten als Feinde der Demokratie von dieser ausgegrenzt werden, ist nicht in allen Kontexten umsetzbar und hat auch nicht den gewünschten Erfolg erzielt. Nicht zuletzt, weil manche Menschen die AfD vielleicht nicht trotz sondern wegen ihrer rechtsextremistischen Ansichten und Mitglieder wählen.
Wer mit Rechten reden will, ob in Sozialen Netzwerken oder analog am Arbeitsplatz, im Familien- und Freundeskreis, sieht sich allerdings oft mit der Herausforderung konfrontiert: Wie streite ich mit Personen, die die Regeln der Streitkultur selbst nicht einhalten? Mit diesem Dilemma beschäftigt sich der Bochumer Philosoph Daniel-Pascal Zorn. 2017 hat er mit Per Leo und Maximilian Steinbeis das Buch „Mit Rechten reden“ veröffentlicht, das kein How-to-Ratgeber ist, aber die Lust am Streit als produktives Instrument der pluralen Demokratie stärken will. Zorn selbst kommentiert auf Facebook oder seinem Blog „Die Kunst der Rechtfertigung“ politische Ereignisse und legt logische Fehlschlüsse in den Argumentationen seiner DiskussionspartnerInnen offen. Aber auch Nicht-PhilosophInnen gab er in der WDR5-Sendung „Neugier genügt“ praktische Tipps für den nächsten Streit: Aussage und Person trennen, StreitgegnerInnen wirklich zuhören (also nicht die eigene Antwort im Kopf formulieren, wenn man selbst nicht spricht) und offen für die Erkenntnis bleiben, dass die eigene Überzeugung nicht die allein gültige sein könnte. Das sind für ihn basale Grundvoraussetzungen einer Streitkultur.
Im besten Fall gehe ich so offener in Diskussionen und achte Regeln, die ich von meinem Gegenüber einfordere. Konfrontiert mit der Aussage, die AfD sei keine rassistische, extremistische Partei, dürften uns so ausgestattet doch gute Gegenargumente einfallen. Behauptungen, die Regierung plane einen großen Bevölkerungsaustausch und Merkel gehöre zur Gattung der Reptiloiden, können wir immerhin kritisch hinterfragen und Belege einfordern. Wenn jemand diese aber partout nicht liefern, nicht argumentieren oder zuhören will oder gar beleidigend wird, kann ein Gespräch immer noch abgebrochen werden.
Jeder von uns muss im Einzelfall entscheiden, ob und wie wir auf rechte Aussagen reagieren und wo wir die Grenze ziehen, an der Reden für uns nichts mehr bringt. Wer sich aber jedem Diskurs mit Rechten mit Verweis auf Sinnlosigkeit, verlorene Lebenszeit oder dem Argument, Argumente brächten nichts, verweigert, ist längst schon mittendrin. Zwei Gegenfragen scheinen mir die besten Argumente, im Gespräch zu bleiben, so kräftezehrend es auch sein mag. Erstens: Warum sollten wir denn nicht mit Rechten reden, was haben wir zu verlieren? Zweitens: Wenn wir es nicht mehr tun, was wollen wir stattdessen machen, das unseren eigenen, demokratischen Prinzipien nicht Hohn spricht? Fühlen Sie sich frei, mir zu widersprechen.
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