Für die VeranstalterInnen beginnt der Abend mit einem kleinen Problem: Im Eingangsbereich der Flora in Gelsenkirchen herrscht ein Riesenandrang. Und sie alle wollen zur ersten Gelsenkirchener Slam-Stadtmeisterschaft, der ersten stadtweiten gemeinsamen Veranstaltung der bisherigen Poetry Slams „CaféSATZ“ im C@fe-42, „WortGEwaltig“ im Ückendorfer Spunk und „Poesieduell“ des Kunstvereins Werkstatt e.V.
Doch in der Veranstaltungshalle sind mittlerweile fast alle Plätze besetzt, aus Sicherheitsgründen dürfen keine Karten mehr verkauft werden, einige kommen daher nicht mehr rein. Sie verpassen eine Slam-Stadtmeisterschaft, die mit witzigen, persönlichen vor allem aber politischen und sozialkritischen Texten überzeugt. So vor allem der Sieger des Abends, No Limit, der gleich in der ersten Runde frech und provokant über den Begriff „Weltfremd“ reflektiert und die schläfrige Gesellschaft anprangert, die es nicht juckt, weil der Krieg weit weg ist.
Nicht weltfremd, sondern eine fremde Welt
An diesem Abend geht es auf der Slam-Bühne auch um Waffenexporte, um Flüchtlinge, um Hunger, um Nazis und Nahrungsmittelspekulation, um Krieg und Imperialismus. Was No Limit als „weltverbesserisch“ ankündigte, ist dann eine jugendliche, freche und rebellische Wutrede gegen das Establishment: „Du schürst den Krieg in dieser Welt, nur um Geld zu verdienen; Du bist das System, dessen Umsturz ich erflehe.“ Von der Gesellschaft wird das lyrische Ich als weltfremder Chaot bezeichnet, wogegen letztendlich gekontert wird: „Die Welt war fremd geworden.“ Doch von Weltfremdheit gibt es am Ende keine Spur mehr. Befremdlich wirkt die Welt dann auch im Beitrag von Christofer mit f. Der Slammer aus Herne erzählt darin von einem Ministerium für Angst mit einer Abteilung für Fremdenfeindlichkeit, die in der Gesellschaft die Angst vor „Zigeunern, Asis und Asylanten“ und einer drohenden Invasion schürt.
Vielseitige Beiträge: Flüchtlingsdrama und Märchenpersiflagen
Getoppt wird das dann wiederum nur vom Finalsieger No Limit, der mit seinem Text über unsere Blindheit angesichts des Elends auf der Welt aufrüttelt. Das Flüchtlings- und Kriegsszenario verdichtet sich schließlich als Familientragödie: „Eine Familie: Mutter, Vater und Kind. Von der Welt vergessen, denn die Welt ist blind.“ Aber auch die witzigen Momente kommen an diesem Abend nicht zu kurz: Acho hat für seine kabarettistischen Slam-Beiträge nur eine Muse – seine Tochter. Für diese werden philosophische Nonsens-Weisheiten ausgepackt und ans Zeitgeschehen angepasste Märchenpersiflagen produziert. Nicht selten stehen am Ende weise Sentenzen über Kinder und die Welt, wie etwa: „Kinder sind wie Lavalampen: Sehr schön anzusehen, aber nicht sehr helle.“
Die drei Gelsenkirchener Slams präsentieren einen gelungenen wie vielseitigen Slam-Abend. Das ruft nach einer zweiten Stadtmeisterschaft. Dann aber in einer größeren Halle.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Geteilte Sorgen
„Lupo, was bedrückt dich?“ von Catherine Rayner – Vorlesung 08/25
Augen auf Entdeckungsreise
„Jetzt geht’s los!“ von Philip Waechter – Vorlesung 08/25
Magischer Realismus
Charlotte Brandi liest in Dortmund aus ihrem Debütroman „Fischtage“ – Lesung 08/25
Düster und sinnlich
„Das hier ist nicht Miami“ von Fernanda Melchor – Textwelten 08/25
Erste Male zwischen den Welten
„Amphibium“ von Tyler Wetherall – Literatur 08/25
Eine wahre Fluchtgeschichte
„Wie ein Foto unser Leben rettete“ von Maya C. Klinger & Isabel Kreitz – Vorlesung 07/25
Die Kraft der Erinnerung
„Das Geschenk des Elefanten“ von Tanja Wenz – Vorlesung 07/25
Alternative Realität in Tokyo
„Tokyo Sympathy Tower“ von Rie Qudan – Literatur 07/25
Zart und kraftvoll zugleich
„Perlen“ von Siân Hughes – Textwelten 07/25
Flucht ins Metaverse
„Glühfarbe“ von Thea Mantwill – Literatur 06/25
Ein Hund als Erzähler
„Zorro – Anas allerbester Freund“ von Els Pelgrom und Sanne te Loo – Vorlesung 06/25
Im Reich der unsichtbaren Freunde
„Solche Freunde“ von Dieter Böge – Vorlesung 06/25
Bis zur Neige
„Der Durst“ von Thomas Dahl – Literatur 06/25
Ein Leben, das um Bücher kreist
„Roberto und Ich“ von Anna Katharina Fröhlich – Textwelten 06/25
Hartmut und Franz
Oliver Uschmann und sein Roman über das Verschwinden von Kafka – Literaturporträt 06/25
Die Spielarten der Lüge
„Die ganze Wahrheit über das Lügen“ von Johannes Vogt & Felicitas Horstschäfer – Vorlesung 05/25
Im Fleischwolf des Kapitalismus
„Tiny House“ von Mario Wurmitzer – Literatur 05/25
Starkregen im Dorf der Tiere
„Der Tag, an dem der Sturm alles wegfegte“ von Sophie Moronval – Vorlesung 05/25
„Charaktere mit echten Biografien“
Oliver Uschmann über seinen Roman „Ausgefranzt“ – Literatur 05/25
Ein Meister des Taktgefühls
Martin Mosebachs Roman „Die Richtige“ – Textwelten 05/25
Die Unschärfe der Jugend
Diskussion über junge Literatur im Essener KWI – Literatur 04/25
Unglückliche Ehen
„Coast Road“ von Alan Murrin – Literatur 04/25
Die Kunst der zärtlichen Geste
„Edith“ von Catharina Valckx – Vorlesung 04/25
Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25
Erinnerungskultur
Gegen Vergessen und für Empathie – ComicKultur 04/25