Das Projekt „CHINA 8“ findet als überschauende Ausstellungsfolge zur zeitgenössischen chinesischen Kunst mit rund 120 Künstlern in neun Instituten in acht Städten – sieben davon im Ruhrgebiet – statt, es läuft noch bis September. Auch wenn sich dabei die Anerkennung der Künstler in ihrer Heimat nicht erschließt und häufig der Hintergrund der Werke unklar bleibt, so gibt es doch genügend eindrucksvolle Beiträge, was vor allem dann der Fall ist, wenn sie auf der eigenen Kultur aufbauen. Insbesondere in der Ausstellung im Osthaus Museum in Hagen thematisieren die Werke den Gegensatz von Tradition und Gegenwart, noch in der Spannung von Kunsthandwerk und freier Kunst. Im Osthaus Museum macht dies besonders Sinn. Sein Gründer Karl Ernst Osthaus hat im frühen 20. Jahrhundert außer der damaligen Avantgarde fernöstliche Kunst sowie Kunstgewerbe und Angewandte Kunst gesammelt.
Die Kunstwerke der chinesischen Künstler sind nun im gesamten Altbau zu sehen, besser: zu entdecken. Sehr konzentriert wird Yin Xiuzhen präsentiert, die seit ihrer Einzelausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf hierzulande bekannt ist. Ihre Werke sind in einem der Durchgangsräume wie zufällig ausgestreut. Ihre Arbeiten handeln vom Übergang, vom Reisen mit dem Koffer. Dieser ist geöffnet. Inmitten von Kleidungsstücken finden sich stilisierte Architekturmodelle, die teils in ihrer Geschichtlichkeit wiedererkennbar sind und teils für heutige Anonymität stehen. Die Veränderung der Städte und der Umgang mit der Tradition und der eigenen Herkunft klingen an. Letzteres ist auch beim Porzellan der Fall, mit dem in Hagen gleich mehrere Künstler arbeiten. Aber die Gefäßkeramiken zeigen nun pornographische Motive oder das Porzellan mutiert zum Werkstoff für die Darstellung moderner luxuriöser Güter wie Fernseher oder Autos. Wahrscheinlich der prägnanteste Beitrag in Hagen stammt von Kum Chi Keung, der 1965 in Hong Kong geboren wurde und dort noch lebt. Er hat Vogelkäfige aus Bambus gebaut und klinkt sich damit in ein handwerkliches Gewerbe ein. Seine Käfige sind elegant, muten wie kostbares Design an; zugleich aber erinnern sie an Früchte, unterstrichen noch durch die Gegenstände, die sie umfangen, und sprechen Aspekte der Gen-Technologie an. Hinzu kommt die Ambivalenz der vermeintlichen Freiheit der Vögel. Kum Chi Keung spielt auf den knappen Wohnraum in einer Stadt wie Hong Kong an – seine Vogelkäfige sind alles andere als lieblich.
Im Kunstmuseum in Mülheim an der Ruhr greift Song Dong, Teilnehmer der letzten documenta in Kassel, das gleiche Thema auf. Im Foyer des Museums hat er eine alte Telefonvebindungsanlage errichtet, die auf der Rückseite als Wohnhöhle geöffnet ist. Nebenbei deutet sich noch das Brachiale der Gegenwart mit seiner Technisierung an, es ist ein Leitmotiv in Mülheim. Die Zeit ist beschleunigt, Überwachung und gegenseitige Beobachtung sind allgegenwärtig, auch beim Bruch mit der Gesellschaft. Ein Mann hängt wie ein Selbstmörder in der Dachkonstruktion. In einer riesigen Spiegelfläche reflektiert ein Gestrüpp auf Schaufeln, das sich auf die Verdrängung der Bauern in der heutigen Welt bezieht. Und im gegenüberliegenden Saal hat Zhou Xiaohu eine monumentale Tunnelanlage mit multimedialen Effekten errichtet. Wir werden zu Akteuren in einem Krieg, sind direkt zugeschaltet und verfolgen wie aus einem Panzer oder aus der fernen Kommandozentrale das Gefecht. Im kreisrunden Filmausschnitt baumelt ein Mann mit seinen Beinen, virtuell und doch real. Ernst und (Computer-)Spiel sind nicht auseinanderzuhalten: Vielleicht ist dies der spektakulärste Beitrag der ganzen Ausstellungsreihe.
„Paradigmen der Kunst“ | Osthaus Museum Hagen & „Modelle der Irritation“ | Kunstmuseum Mülheim | bis 13.9. | www.china8.de
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