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Das obligatorische Schlauchboot (hier aus Koffern) ist auch dabei, macht aber nix.
Foto: Dominik Lenze

Das absolut Andere und seine Burka

16. Januar 2017

„Fluch(t)“ im Fritz-Henssler-Haus in Dortmund am – Theater Ruhr 01/17

„Der Flüchtling“ ist längst eine Bühnenfigur. Kein Thema beherrschte die Bühnen im letzten Jahr so sehr, wie die Bewegungen von Menschen von A nach B, die Reaktionen der Menschen in B und was da eigentlich in A so im Argen ist, kurzum: die inzwischen erfolgreich von allen Seiten zur Zeitenwende hochstilisierte „Flüchtlingskrise“. Ist ja auch ein spannendes Thema. Ja, mit diesen Menschen kommt eine Bibliothek an Geschichten. Aber inzwischen füllen auch die in den letzten Jahren entstandenen Flüchtlingsstücke einige Regalreihen, eine zweite, wenn man theaterpädagogische Projekte noch dazu nimmt – und wir wissen es alle, da finden sich nicht nur Schätze. Ist halt auch ein schwieriges Thema. Und jetzt auch noch „Fluch(t)“ von Theater Lebendich, ein Jugend-Theaterstück nach Jane Tellers didaktischer Kurzerzählung „Krieg – Stell dir vor, er wäre hier.“ Was kann das werden?

Eins vorweg: es kann ziemlich gut werden. Klar, für Jugendtheater-Verhältnisse gut. Aber dabei geht es ja sowieso nicht (nur) um nackte Qualität, hier kann man viel mehr lernen. Doch erst einmal zum Setting der Geschichte: In Europa herrscht Krieg, denn Deutschland hat die EU aufgegeben und die EU sich selbst. Also macht sich eine deutsche Familie auf in die einzig erreichbare Region, in der noch Frieden herrscht: in den Nahen Osten.

Die Idee ist schlicht, aber gut. Denn zu seinem großen Glück muss sich der Zuschauer nicht mit naiven Vorstellungen der Darsteller auseinandersetzen, wie sie sich eine Flucht aus Syrien vorstellen, auch drängen uns keine großen Gesten zu einem Mitleid, dass man eigentlich erwecken, nicht erzwingen müsste (alles schon gesehen) – hier sprechen Jugendliche darüber, was Ihnen an ihrer Welt fehlen würde, müssten sie sie von heut auf morgen verlassen. Das ist glaubwürdig. Zum einen grundsätzlich, und zweitens weil einige die Laien-Darsteller wirklich gut spielen. Nicht umsonst hat das Team den Preis fürs beste Schauspiel bekommen, beim Jugendtheaterfestival Dortmund im letzten Jahr.

Der Preis der unschuldigen Glaubwürdigkeit: Wie selbstverständlich reproduzieren die Jugendlichen Klischees auf beiden Seiten. Freiheit, den Markenkern Europas, werden sie am meisten vermissen – als ob es Freiheit nur in Europa gäbe, als ob der effiziente Westen so frei ist, wie er tut. Und im ägyptischen Flüchtlingslager sind Burka tragende Frauen die fiesesten Aufseherinnen, die Männer und Frauen trennen und damit Mutter, Schwester und Sohn. 

Schlimm, wa? Total politisch unkorrekt und so. Unsensibel. Und genau deshalb genau richtig: Die Burka als unhintergehbare, letztgültige Inkarnation „der Anderen“, die somit ihr Gesicht verliert, ihr Lächeln, ihren Blick und nichts mehr bleibt als das diffuse „Andere“ – welches Symbol eignet sich bitte besser, um fühlbar zu machen, warum sich ein Mensch gegen all das sträuben könnte, was sich hinter dem Hohlwort „Integration“ verbirgt? Was verkörpert die Angst vor dem Anderen besser als eine Maske? Klar, von „fertigen“ Theatermachern könnte man etwas mehr Fingerspitzengefühl verlangen. Was aber den Jugendlichen gelungen ist, und das gelingt nicht vielen vergleichbaren Theaterprojekten: Sie haben ein Bild, einen plakativen Slogan gefunden, dass ihr ganzes Stück auf den Punkt bringt: Stell dir vor, es ist Krieg, und nur der Islam kann dich retten. In der Realität hieß es: Es ist Krieg, und Frieden gibt es nur an der Quelle des Waffenstroms, tief im Westen.

Fragt man die Jugendlichen, wer sich ihr Stück vielleicht mal ansehen sollte, kommen viele Antworten. Aber die erste von einer jungen Frau in Lederjacke wie aus der Pistole geschossen: „Die AfD.“ Die Hoffnung, von einem AfD-Mitglied so etwas wie Reflektion zu erwarten, ist zwar naiv. Aber: dieses Stück kann zum Umdenken anregen – und ist damit, trotz seiner Macken, trotz seiner jugendlichen Art, auch der einen oder anderen professionellen Produktion, die sich im Mitleidsgestus erschöpfen, um einiges voraus.

Auf die Beine gestellt wurde das Stück vom freien Theaterprojekt Theater Lebendich (Regie: Melanie Nagler) und dem Respekt Büro Dortmund. Wer Lehrer ist, und statt Don-Carlos-Exegese mal Deutschunterricht betreiben will: Holt das Stück an eure Schule, ruft an unter 0163 8987594.

Dominik Lenze

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