Vielleicht sollte man dieses Portrait mit einem Geständnis beginnen: Als 2008 mit „Restlicht“ der Debütroman von Jochen Rausch im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschien, dachte ich noch, da ist wieder ein Medienmensch, der seine guten Kontakte zur Verlagsbranche nutzt. Schließlich war 2008 das Jahr von Charlotte Roches Ausflug in die Feuchtgebiete und Jochen Rausch bereits seit 2000 Wellenchef des WDR-Senders 1Live – und WDR sowie KiWi sitzen in Köln …
Das Debüt, das mit Krimi-Elementen eine Provinzjugend in den 1970er Jahren an der innerdeutschen Grenze beleuchtet, wusste jedoch zu überzeugen. Keinen Bestseller, aber rundweg gute Kritiken und Lesermeinungen konnten Autor und Verlag verbuchen. Drei Jahre später legte Rausch im Berliner Taschenbuch Verlag die Geschichtensammlung „Trieb“ vor. In den dreizehn Storys blickt Rausch hinter die Fassaden der Normalität, dringt zu dem Punkt vor, an dem Masken gelüftet werden und aus vermeintlich heiterem Himmel Blut fließt. Zart besaiteten Gemütern gehen diese Texte an die Nieren – nicht unbedingt weil Rausch explizit Gewalt schildert, sondern weil er darauf verzichtet, dem „Guten“ ein Gesicht zu geben. Nun hat der Freund kurzer Buchtitel gerade mal zwei Konsonanten ausgetauscht und legt mit „Krieg“ seinen zweiten Roman vor. Hierin bleibt Rausch seiner Prämisse treu, dem Leser keine Erlösung anzubieten, sondern, im Gegenteil, ihn nachhaltig zu verstören. Diese fehlende Perspektive auf Erlösung mag verwundern, schließlich gibt der 1956 in Wuppertal geborene Autor an, als Kind den Berufswunsch Priester gehegt zu haben. Er entschied sich dann letztlich doch für den Journalismus. Sein Studium der Wirtschaftswissenschaft wird ihm beim Vorankommen im WDR, wo er sich vom Moderator und Redakteur zum Programmleiter hochdiente, nicht geschadet haben.
Wellenreiten und Chillen
Zwischenzeitig wäre auch eine Musikerkarriere denkbar gewesen: Mit dem Projekt „Stahlnetz“ surfte er Anfang der 1980er gemeinsam mit seinem Jugendfreund Detlef Cremer auf der Neuen Deutschen Welle: „Ich habe schon lange vor meiner Zeit beim WDR künstlerisch gearbeitet. Zuerst als Musiker. 1982 habe ich mit Conny Plank als Produzent mit meiner damaligen Band ‚Stahlnetz’ das Album ‚Wir sind glücklich’ aufgenommen. Ich habe auch damals schon geschrieben, aber ernsthaft habe ich damit eigentlich erst um 2005 begonnen.“ Die Neue Deutsche Welle trug allerdings nicht allzu lange. „Wir waren totale Dilettanten und viel zu düster“, gibt Rausch im Rückblick zu – wobei zu dieser Zeit der Dilettantismus nicht hinderlich gewesen sein dürfte …
Dass Rausch in einer Doppelfunktion als Programmchef und Autor womöglich einen Gewissenskonflikt auszufechten hat, weist er entschieden von sich: „Ich habe im WDR dazu noch keine Anfeindungen erlebt. Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass Journalisten sich zu literarischen Autoren entwickeln. Das liegt nicht so weit auseinander.“ Sehr offensichtlich betreibt Rausch das Schreiben trotz seines Anspruchs und seines Erfolgs beinahe wie ein Hobby. „Ich sehe das Schreiben als Chillen, wie man das auf Neudeutsch sagt. Artete es in Arbeit aus, dann ließe ich es sofort sein. Trotzdem braucht man sehr viel Ausdauer für das Schreiben – die Zeit muss man sich schon nehmen. Und die Zeit alleine bringt es auch nicht, man muss tatsächlich an sich arbeiten, immer wieder den Text schleifen, bis er richtig klingt. Schreiben ist ein sehr einsames Geschäft, wirkt aber auf mich wahnsinnig beruhigend.“
Panik ohne Orchester
Auf die Frage, inwieweit sich Radio und Literatur in seinem Schaffen befruchten, antwortet Rausch: „Klar, es gibt Beziehungen zwischen Radio und dem literarischen Schreiben – ich habe als Reporter bei Radio und Fernsehen gelernt, knapp und präzise zu schreiben, zu recherchieren, ein Thema auf den Punkt zu bringen. Das deckt sich mit meiner Vorliebe für amerikanische Realisten. Allerdings ist das literarische Schreiben ein oft über viele Monate dauernder Prozess, während es beim Radio und Fernsehen sehr schnell gehen muss. Aber ich lese mir alles, was ich schreibe, laut vor, ob es klingt, ob es flüssig ist, ob es eine Sprachmelodie bekommt. So machen Radioleute das auch. Mich interessieren auch künstlerische Radioformen: So habe ich vor drei Jahren ein Hörspiel für WDR3 und 1LIVE geschrieben – es hieß ‚Dann sind wir Helden’.“
Klang und Sprachmelodie sind auch wichtig in dem Projekt LEBENDiGITAL, das Rausch ebenfalls wieder mit Detlef Cremer ins Leben rief. Mit „Fausertracks“ oder später „Lindenbergtracks“ kreierten die beiden ungewöhnliche Hörerlebnisse, die Elektronische Musik mit literarischen Texten verschmelzen lassen. In der Rezeption gibt es zwischen Euphorie und krasser Ablehnung – insbesondere beim Projekt mit Udo Lindenberg – kaum Zwischentöne. Lindenbergs Texte rückte Rausch einige Zeit vor dem großen Udo-Revival ins rechte Licht, man kann ihm also nicht vorwerfen, dabei auf einen rollenden Zug aufgesprungen zu sein. Ein neues Projekt ist bereits in Vorbereitung: „Ja, wir haben uns schon ein paar Mal für Sessions getroffen und wollen es mal mit einem amerikanischen Autor versuchen, der eine Hammerstimme hat und auch eine Menge zu sagen hat. Kann aber nicht verraten, wer ...“
Doppelpass
Bei diesen vielfältigen Aktivitäten und Interessen des Programmchefs dürfte es kein Wunder sein, dass 1Live entgegen seines tagsüber eher mainstreamigen Jugendimages in den Abendstunden auch Sperriges erlaubt und zum Beispiel mit regelmäßigen Hörspielen oder dem vom Bochumer Mike Litt moderierten „Klubbing“ der Literatur ein Podium schafft. Apropos Bochum: Da hat Rausch sein sportliches Herz verloren. „Ich bin kein hartgesottener Wuppertaler Lokalpatriot, sonst könnte ich nicht Sympathisant des VfL Bochum sein und in Wuppertal wohnen. Der Abstieg aus der Bundesliga ist mir wirklich ans Herz gegangen. Was meine Stadt anbelangt, so achtet der Wuppertaler sehr darauf, nicht dem Ruhrgebiet zugerechnet zu werden – obwohl es weder geografisch noch mental so wahnsinnig weit entfernt ist. Was 1LIVE angeht, haben wir uns von Anfang an sehr darum bemüht, auch für Menschen außerhalb Kölns Programm zu machen. Das war im WDR keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Es gibt ja gute Gründe, warum wir beispielsweise unser größtes Event – die 1LIVE-Krone – alljährlich in Bochum machen. Das ist auch unbedingt als eine Geste an unser treues Publikum im Ruhrgebiet zu verstehen, wo wir übrigens mit Abstand die meisten Hörer im gesamten Sektor haben.“
Jochen Rausch: Krieg, Berlin Verlag, 224 Seiten, 18,99 Euro
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