Wann genau die moderne Popmusik beginnt, lässt sich ausgiebig diskutieren. Am naheliegendsten ist aber die Markierung Mitte der 50er Jahre, als der Rock ‘n‘ Roll seinen Durchbruch hatte – nicht nur als Musik, sondern als Jugendkultur mit allem drum und dran. Mittendrin tobt ein Jungspund mit Sinn für Mode, catchy Moves auf der Bühne, wilder Haartolle und Schminke im Gesicht: Little Richard. Seine Karriere rekapituliert Mark Ribowsky in „Das großartige Leben des Little Richard“ akribisch – angefangen von seiner Kindheit und Jugend als Gospelsänger über seine baldige Bühnenabstinenz und seinen religiösen Rückzug bis zu den diversen Come Backs. Wenn Little Richards Verwandlung auf der Bühne zum wilden, schwulen und herkömmliche Ideen zu Gender durcheinanderwirbelnden Derwisch mit spitzen Schreien und Bein auf dem Klavier nicht Pop ist – was dann (hannibal).
15 Jahre später, die Beatmusik im Gepäck und am Ende der Hippiebewegung – fanden deutsche Musiker erstmals eine eigene, nicht epigonal an britische und amerikanische Musik angelehnte Tonart. Von außen Krautrock genannt, verbarg sich hinter den teils avantgardistischen Ansätzen von Bands wie Faust, Amon Düül II, Tangerine Dream, Popol Vuh, Cluster und vielen Legenden aus NRW wie Can (Köln), Kraftwerk und Neu! (Düsseldorf) oder dem wegweisenden Produzenten Conny Plank mit seinem Studio in der Nähe von Köln trotz personeller Überschneidungen die unterschiedlichste Musik – von psychedelischem Rock über Geräuschmusik zu elektronischen Klängen. Mit „Future Sounds“ legt Christoph Dallach eine dicke, über 500 Seiten umfassende Oral History des Krautrock vor und lässt zahlreiche Musiker der genannten und anderer prägender Bands ebenso zu Wort kommen wie andere Zeitgenossen, zum Beispiel Musikkritiker oder Produzenten (Suhrkamp).
Diese meist ausladend lange, mitunter auch sehr ruhige Innerlichkeitsmusik des Krautrocks wurde in den 70ern von der Punkbewegung hinweggefegt. Frauen suchte man im Krautrock fast vergeblich (Renate Knaup von Amon Düül ll ist eine große Ausnahme), beim Punk war das schon etwas anders, auch wenn die Frauen weit in der Minderheit waren. Doch es gab sie, bei Bands wie The Pretenders, X Ray Spex, Au Pairs, Blondie, Talking Heads, The B 52‘s uvm., als Bandleader wie Siouxsie Sioux oder Lydia Lunch oder gar in All Girl-Groups wie The Slits, The Raincoats oder Liliput. Die zeitgenössische Journalistin und Musikerin Vivien Goldman (The Flying Lizards) hat ihnen mit „Die Rache der She-Punks“ an Hand der Oberthemen Identität, Liebe, Geld und Protest eine „feministische Geschichte des Punk“ gewidmet –bis in die Gegenwart zu Pussy Riot. Der Ventil Verlag, der die deutsche Übersetzung veröffentlicht, hat zuletzt mit „These Girls“ einen „Streifzug durch die feministische Musikgeschichte“ herausgegeben, die sich an den unterschiedlichsten Protagonistinnen entlang hangelt. Hier gibt es nun die radikale Punk-Version mit sehr fundierten Analysen, welche Themen wie bei den Musikerinnen verhandelt werden – oder anders verhandelt werden (Ventil Verlag).
Nicht dabei: die in Berlin agierenden Post Punks Mania D. und die daraus entstandenen Bands Malaria! und Matador. Die haben ihr eigenes Buch „M_Dokumente“ bekommen. Das Vorwort schreibt Diedrich Diederichsen, Mania D.-Fan der ersten Stunde. Es folgen haufenweise Text- und tolles Bildmaterial zu den drei Avantgarde-New Wave-Elektronik-Bands und schließlich drei lange aktuelle Interviews mit den Musikerinnen der drei Bands: Gudrun Gut und Beate Bartel, beide auch Gründungsmitglieder von Einstürzende Neubauten, sowie Bettina Köster und Manon P. Duursam. Ein tolles Avant Garde-Coffetable Book (Ventil Verlag).
Im parallel zum Punk aus dem Hardrock entstehenden Metal sieht es dann wieder düsterer aus für Feminismus. Ein paar Frauen gibt es auch hier, doch der Kanon erzählt von einer Männerwelt. Diese Welt ergründet der Kunsthistoriker Jörg Scheller in seinem Buch „Metalmorphosen – Die unwahrscheinlichen Wandlungen des Heavy Metal“. Fachkundig und mit Humor beschreibt er die musikalische Geschichte der Entstehung des Metal aus Blues und Rock ‘n‘ Roll, vergleicht mit den fast gleichzeitig entstehenden Musikstilen Punk und Hip Hop, blickt auf das Verhältnis zu Gender, Race, Politik und Religion – blickt vom Mainstream zum ganz Extremen (Franz Steiner Verlag).
Allen Genres gemein ist: Es gibt immer wieder legendäre Platten, die kaum noch zu kriegen sind oder nur für sehr hohe Preise. Es gibt aber auch Platten, die gar nicht erhältlich sind, weil sie nie erschienen sind. Diesen nicht existierenden Platten widmet sich „Not available“ von Daniel Decker – und das ist mehr als ein Gag. Ihm ist eine kurzweilige, aber akribische und faktenreiche und vor allem sehr kluge Abhandlung über das Phänomen „Platten, die nicht erschienen sind“ – so der Untertitel – gelungen. Natürlich findet man hier zuhauf „Heiliger Gral“-Geschichten der Popmusik, angefangen bei „Smile“ von den Beach Boys, konzeptuelle Nicht-Platten, Platten in Giftschränken, durch Rechtsstreits boykottierte Veröffentlichungen oder auch nur Missverständnisse wie „Outburn“ von Kraftwerk, das 1974 plötzlich auf japanischen Vertriebslisten auftauchte. Aber das war nur ein Verhörer von „Autobahn“.
Der Verlag Strzelecki Books (Köln) widmet sich der unglamourösen Seite der Rockmusik. 2012 hatte Ian Svenonious („Make Up“, „Chain & the Gang“) den tollen, antikapitalistischen und leicht bis stark ironischen Ratgeber „22 Strategien für die erfolgreiche Gründung einer Rockband“ veröffentlicht. Denis Kappes macht es nun genau andersrum mit „How to ... fail as a Musician“. Darin gibt er Tipps zum „Als Musiker*in scheitern von A bis Z“ – und zwar aus der Perspektive eines Punkmusikers, für den das oberste Ziel das Scheitern ist. Insofern ist auch hier viel Ironie im Spiel, aber auch einiges an Wahrheit, wie man beim Lesen schnell feststellen wird. Manchmal muss man die Dinge nur auf den Kopf stellen, um klar zu sehen.
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