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René Grohnert
Foto: Jens Nober

„Nach wie vor ein riesiges Problem“

12. August 2020

Museumsleiter René Grohnert über Plakate gegen AIDS – Sammlung 08/20

trailer: Herr Grohnert, Aids ist ein Virus, das langsam aus dem Blickfeld verschwindet – auch wegen Corona?

René Grohnert: Nein, das war vorher schon weg. Corona hat damit nichts zu tun. Weder damit, dass Aids aus der Öffentlichkeit verschwunden ist, noch mit der Ausstellung. Die Panik aus der Anfangszeit ist verschwunden, weil man der Meinung ist, dass man es behandeln kann. Das ist nicht mehr wie die Pest: Ich kriege es und sterbe. Jetzt heißt es: Ich kriege es, aber man kann ja was dagegen tun. Man unterschätzt aber, dass es nach wie vor ein riesiges Problem auf der Welt ist. Die letzten Zahlen sind von 2018, da waren 37 Millionen Menschen in der Welt infiziert. Und wir haben 770.000 Tote pro Jahr, die an Aids und den Folgen gestorben sind. Das heißt, die Krankheit ist keine Kleinigkeit, obwohl sie aus den Medien verschwunden ist. Was damit auch verschwindet, ist die Aufklärung, die Sensibilisierung. Das heißt, die nächste nachwachsende Generation weiß davon weniger als vorher. Das wird jetzt durch Corona nochmal stärker überdeckt.

Sind die rund 300 Plakate auch eine Reflektion über Pandemien an sich?

Das kann man so nicht sagen. Aids ist eine globale Geschichte gewesen, die erste, die wir aktiv miterlebt haben. Die letzte war 1918, die spanische Grippe. Es gibt lokale Dinge, die wir auch beobachtet haben, wie die Hongkong-Grippe. Aber diese globalen Dinge sind eher selten. Die Ausstellung reflektiert wirklich nur diesen Fakt. Zumal die Idee nicht war, eine Ausstellung über Pandemien zu machen, sondern eine Ausstellung zu machen, die zur Keith-Haring-Ausstellung gehört. Haring war einer der großen Aktivisten, die sich für Aids-Betroffene eingesetzt haben. Das wissen hier nicht alle. Wir kennen ihn als den netten Strichmännchen-Zeichner, aber er war weit mehr.

Was unterscheidet die Plakate voneinander?

Wenn man so will zwei Betrachtungsstränge. Der eine ist der zeitliche. Zu Anfang der 1980er Jahre, als es losging, sehen wir auf den Plakaten vor allem den Kampf in den USA. Da geht es darum, dass die Konzerne überhaupt anfingen, Medikamente zu entwickeln. So kam es, dass die USA in dieser ganzen Virus-Forschung über viele Jahre ganz vorne lagen. Weil die sehr früh angefangen haben, sich damit zu beschäftigen. Weil Leute wie Keith Haring und andere öffentlichen Druck gemacht haben. Als Zweites gibt es erst nur sehr verhaltene Aufklärung, weil ja jeder dachte: Solange ich keine Drogen nehme und mich nicht homosexuell bewege, kann mir nichts passieren. Erst als auch Blutkonserven das weitergetragen haben und dazu ein paar Prominente wie Rock Hudson oder Freddie Mercury betroffen waren, wurde allgemein klar, dass es jeden betreffen kann. Von da an hat sich die Zielgruppe verändert, es war große Panik. Diesen Entwicklungsschritt kann man nachvollziehen. Irgendwann wird es breiter in der Aufstellung, dann wird es auch mal lustig oder richtig brutal. Es geht dann schon ein bisschen zur Sache. Das ist der zeitliche Strang, der sich durch die Ausstellung zieht. Mit dem Wissen über die Krankheit verändert sich auch die Art der Darstellung.

Auch wegen der kulturellen Unterschiede?

Die Plakate unterscheiden sich geografisch, kulturell und religiös. Manche gehen sehr offen damit um, andere sehr versteckt, sehr verschämt. Dazu muss man sagen, dass die afrikanischen Länder fast zehn Jahre lang völlig ignoriert haben, dass es diese Krankheit gibt und noch heute gibt es zum Teil obskure Vorstellungen davon, wie man sie wieder loswird. Diese unterschiedliche Sichtweise auf die Krankheit kann man ablesen. Wenn es nur darum ginge, den Leuten mitzuteilen, ein Kondom zu benutzen und so weiter – aber oft spielt, weil es um Sexualität und konkrete Praktiken geht, alles mit rein: Politik, Kultur, Religion.

Claudio Alessandri Design,Stop AIDS now. © Die AIDS-Hilfen Österreichs

Gibt es auch visuelle Besonderheiten verteilt über die Kontinente?

Die würde ich nicht an den Kontinenten festmachen, sondern an den Kulturen. Australien, England, USA, Europa, das sind verhältnismäßig gleiche oder ähnliche Ideen, wie man damit umgeht. Das ist auch visuell nicht so weit voneinander entfernt. Wobei Australien und Neuseeland sehr stark die Ureinwohnerschaft mitnehmen und dafür auch bestimmte traditionelle Motive bemühen. Das hat man auch in den afrikanischen Ländern, das hat man in Europa weniger. Da ist man mehr grafisch orientiert. Ein Text im Katalog beschäftigt sich mit den Gesichtern, die auf den Plakaten zu sehen sind. In der Regel sind da Models drauf. Stockfotos, die dazu benutzt werden. Aber es gibt auch Leute, die selber betroffen sind und sich dann selber dazu bekennen oder dazu auffordern. Es ist nicht so sehr, dass sich die Kontinente unterscheiden, sondern woher die Plakate kulturell stammen. Asien ist grafisch hochinteressant, aber wenig emotional. So ist es zum Teil auch in den arabischen Ländern und der Türkei. Das wird alles sehr vorsichtig behandelt.

Reduziert sich das in den westlichen Ländern heute auf die Werbung mit Kondomen?

Kondome sind logischerweise ein wichtiger Punkt. Da geht es aber auch darum: Wenn du so was hast, melde dich gleich, oder wenn du Sorge hast, dann kannst du hier anrufen, oder mach nicht dies und das. Es gibt aber auch die Kondomindustrie, die ihre Produktwerbung auch damit verbindet. Vor allem sind das aber alles Aufklärungen und Hilfsangebote. Wir haben auch insbesondere solche Plakate ausgesucht, die sich gegen die Benachteiligung Betroffener richten, dass man die nicht ausgrenzen soll. Worum wir uns noch bemühen ist, dass Oliviero Toscani kommt, der mit seinen Plakaten für Benneton damals für einen großen Aufreger gesorgt hat, als das Thema über diesen Umweg in die Öffentlichkeit kam.

Rettet die Liebe! Internationale Plakate gegen AIDS | 21.8. - 29.11. | Museum Folkwang, Essen | 0201 884 50 00 

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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