Kirchen, Mahnmale und Gedenktage haben eines gemeinsam: Häufig umgibt sie ein Nimbus ehrfürchtiger Andacht. Kaum wagt man angesichts von so viel Heiligkeit und historischer Bedeutungsschwere zu atmen oder zu reflektieren, wobei aber auch das Fühlen und das Mitgefühl auf der Strecke bleibt. Ein wirkungsvolleres Konzept verfolgt die Christuskirche im Herzen Bochums und beweist, dass Gedenken das Verb "denken" enthält. Selbst lebendiges Denkmal wider die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs, fungiert sie heute als öffentlicher Raum und beherbergt regelmäßig Ausstellungen, Konzerte, Theateraufführungen jeglicher Coleur. Das Projekt, „Kein Raum der Gewalt“ unter der künstlerischen Leitung von Arne Nobel, das sich der Erinnerung und Reflexion von 9/11 widmet, findet erstmalig statt, soll sich aber als regelmäßige Institution etablieren.
Die Christuskirche, an der sich am 11. September 2001 Vertreter aller drei monotheistischen Religionen versammelten und gemeinsam für die Opfer der Anschläge in den USA beteten, ist als Ort eines solchen Projektes prädestiniert. Christof Wieschemann, Vorsitzender des Kuratoriums der Christuskirche, erklärt, dass sich der künstlerisch interdisziplinäre Charakter des Projektes zum einen durch den multiperspektivischen Ansatz des „Kirche der Kulturen“-Konzeptes, zum anderen aus der äußerst vitalen, lokalen Kunst- und Kulturszene ergab.
Betritt man den effektvollen Raum der schon äußerlich architektonisch beeindruckenden Kirche, wird man sich dessen augenblicklich bewusst. Während sich das letzte Tageslicht in den bunten Kirchfenstern bricht, werfen Scheinwerfer ihre Spots an die wie zufällig im Raum drapierten Kunstwerke. Großformatige Gemälde in einer Mischung aus Graffiti und Ikonen mischen sich mit Installationen, flüchtigen Portraitfotografien und bunten Zeichnungen. Diese verschiedenen Stile verteilen sich bewusst unkommentiert und laden den Betrachter zunächst zum freien Umherschweifen ein.
Wie dies aus der Sicht eines unvoreingenommenen Besuchers wirkt, schildert Stephan Grothaus. Der gebürtige Bochumer und leidenschaftliche Theaterbesucher wurde durch seine Begeisterung für sein Lieblingstheater in der Rottstraße in die Christuskirche gelockt. „Ich finde es spannend, dass das Konzept nicht selbsterklärend ist und sich nicht alles auf den ersten Blick erschließen lässt.“
Besucher Stephan Grothaus vor den Zeichnungen von Jürgen Kruse. Foto: Maxi Braun
Als Kenner der lokalen Theaterszene freut sich der Lehrer einer Mülheimer Hauptschule besonders auf ein Wiedersehen mit bekannten Bochumer Schauspielern wie Dagny Dewath, Björn Geske oder Arne Nobel selbst, der den Odysseus in allen Teilen der „Troja“-Inszenierung am Donnerstag und Freitag geben wird. Auch für die anderen, im Rahmen des Projekts „Kein Raum der Gewalt“ stattfindenden Veranstaltungen ist Grothaus aufgeschlossen, freut sich auf eine „kritische Verarbeitung des Themas.“
Was Stephan Grothaus’ Begeisterungsfähigkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber Kunst in all ihren Facetten auf Seiten der Bochumer Bevölkerung repräsentiert, findet seine Entsprechung im pluralistischen Selbstverständnis der Institution Christuskirche. Sowohl im Allgemeinen als auch in der von Arne Nobel konzipierten Aktionswoche offenbart sich die Vitalität und Vielseitigkeit der Bochumer Kunst- und Kulturszene.
Auftakt bildete eine Vernissage am Dienstagabend. Nebst einer Filmvorführung von Phillip Reuters „No body kers“, einer schwarz-weißen Kurzfilm-Farce, die wirkt, als hätte David Lynch „Eraserhead“ im Ruhrpott gedreht, nutzte ein quadrophonisches Elektrokonzert die die Akustik des Sakralbaus. Bis einschließlich Sonntag sind alle Interessierten eingeladen, die Ausstellung zwischen 15-18:45 Uhr gratis zu besuchen. Jeweils ab 19:30 Uhr finden die weiteren Theater- und Tanzaufführungen und eine Lesung statt.
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