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Das Empfangskomitee der skurrilen Teeparty beim n.a.t.u.r.-festival
Foto: Kevin Vitt

N.a.t.u.r. belebt Bochum

08. Oktober 2014

In seiner vierten Auflage bot das Bochumer n.a.t.u.r.-Festival (26.9.-5.10.) neue Formate und Überraschungen.

Das durch die Bochumer Stadtwerke geförderte „Zukunftsprojekt“ wurde erst kürzlich zum offiziellen Teilnehmer der Auftaktwoche der „Klimametropole Ruhr“ ernannt. Dieses Jahr waren die Naturmacher bereits durch das „Future Now“-Event und die „Guerilla Days 2014“ präsent. Nun standen zehn Tage im Zeichen der Natur an und das Festival, das wörtlich für „Natürliche Ästhetik trifft urbanen Raum“ steht, ging mit einer Mixtur aus Workshops, Konzerten, Vorträgen, künstlerischen Performances und Aktionen an den Start. Im Mittelpunkt standen wieder Fragen und Lösungsansätze rund um Nachhaltigkeit und Ökologie. Ebenso die Forderung nach mehr Umwelt- und Kulturbewusstsein im urbanen Lebensraum.

Die Auftaktveranstaltung „SEED BO:MB“ (Grüne Schule) am Freitag wurde auf Grund von Baumaßnamen leider abgesagt. Dafür folgte jedoch eine sonnenerfüllte Woche und am Samstag ging es mit der „BOwusst“-Stadtführung los. Quasi im Spaziergang wurde hier Aufklärung über Konsumverhalten betrieben, nachhaltige Anlagemöglichkeiten vorgestellt und die Kriterien von Bio- und Ökosiegeln beleuchtet. Angesteuert wurden z.B. ein veganer Supermarkt oder ein ökologisch produzierender Kleiderladen. Besonders vor Augen geführt werden sollte den etwa 20 Teilnehmern mögliche Alternativen zum alltäglichen Konsumverhalten: Kleider z. B. aus zweiter Hand zu kaufen oder Waren auf Tauschpartys zu erstehen, seien sinnvolle und nachhaltige Lösungen im ökologischen wie ethischen Sinne. Und schaffen zudem Platz im Kleiderschrank.

Nachdem am Abend in der Rotunde die Natur-Eröffnung zusammen mit mehreren Live-Acts, einem Gospel-Chor und einem Live-Painting-Slam gefeiert wurde, ging es am Samstag mit mehreren Workshops weiter. Während Marcel Postert, Chefredakteuer beim „Kulturblog ruhrgebietMITTE“ im Kugelpudel den Workshop „BLOGGEN!“ leitete, erarbeitete der Soziologe Benjamin Best (Wuppertal Institut) im Workshop „Degrowth und urbane Transformationen“ das Konzept einer Stadt der Wachstumsrücknahme. Beispielhafte Charakteristika dafür: Lebensmittelversorgung durch regionalen und saisonal begrenzten Anbau, ein grünes statt graues Stadtbild, die Abwesenheit von Autos und der Bau von Fahrradautobahnen. Was nach Utopia klingt, ist nach Best nötig, um den drohenden Städteverfall noch zu verhindern. Auch deutlich wurde, dass die Formulierung „Wachstum der Stadt“ zwar positiv anmuten kann, hier jedoch Klärungsbedarf besteht. Was genau ist mit Wachstum gemeint? Flächeninanspruchnahme? Bevölkerungswachstum? Wirtschaftswachstum? Einigkeit bestand darüber, dass es Wachstum nicht gleich Lebensqualität ist. So fordert Best in seinem „Degrowth“-Konzept mehr Investitionen in die bestehende Infrastruktur wie den Erhalt und die Sanierung von Gebäuden sowie die Förderung von Eigenleistungen für Sanierungen und Erhalt, Zwischennutzungen und Miethäusersyndikate. Doch wie genau kann man solch komplexe Ideen an den Bürger herantragen und wie kann man wichtige Entscheidungsträger überzeugen, damit sie nicht nur gute Ideen bleiben?

Eine Frage die am Montagabend in der Rotunde auch die Podiumsdiskussion „Ruhrtopia“ stellte. Anwesend waren hier u. a. Vertreter des „Sozialen Zentrums“ oder der „Kampagne Affe“. Besprochen wurden die Vor- und Nachteile verschiedener Organisationsformen wie Initiative, Netzwerk und Verein. Ein Bürokratie-Bashing fand allgemeinen Anklang. Die Kommunikation sei in losen, netzwerkartigen Strukturen einfacher. Einspruch gab es vom anwesenden Juristen Jakob Janitzki, der die Rechtsform des eingetragenen Vereins empfahl. „Juristerei muss nicht begrenzend wirken, sie kann auch vereinfachen“. Bürokratische Strukturen böten auch eine Chance für Aktivisten, sich in der Öffentlichkeit ernstzunehmend darzustellen und sich besser finanzieren zu können. Eine Meinung, die nicht jeder in der Runde teilte.

Keine Tombola ohne Tombola Fee, Foto: Kevin Vitt

Wie die Eröffnungsparty bereits andeutete, bot das Natur-Fest neben einer ernsthaften Auseinandersetzung auch Gelegenheit, die Seele baumeln zu lassen. Am Mittwoch startete der zweite Teil des Festivals mit einem Meditationsworkshop in der Rotunde. Zusammen mit der Sportwissenschaftlerin Honorata Kibler („VitalRegie“) wurde meditiert und der Alltag bei entspannender Musik kollektiv ausgeblendet, um am Folgetag wieder gefeiert ausgeruht feiern zu können. „Wissen macht Durst“, war das Motto der „E:Norm-Party“ am Donnerstag in der Rotunde, bevor am Freitag der erste Bochumer Fahrrad- und Mobilitätstag „VeLo ve Bochum“ Premiere feierte. Hierbei handelte es sich um eine kulturelle Schnitzeljagd über 10 Stationen auf einer Strecke von etwa 12 Kilometern. Die Art der Fortbewegung konnten die Teilnehmer nach Belieben wählen – einzig Autos waren verboten. Bei Sonnenschein wurde den Teilnehmern an jeder Station eine Frage gestellt, die an der jeweils nächsten Station beantwortet werden musste. Für die richtige Antwort erhielt man die nächste Frage. Gar nicht so einfach: „Was sagt Goethe alle halbe Stunde zu seiner Muse?“. „Glückauf!“, so die Antwort, die es z.B. am Rottstr.5-Theater zu nennen galt. Fragen, die zwar rätselhaft erschienen, doch auch Aufmerksamkeit und Umgebungsbewusstsein schulten. Auf die Teilnehmer der Rallye warteten später Gewinne (z.B. Klimasparbücher) bei der Tombola am KAP. Dazu sorgte die Band „Heldmanns Sohn“ mit sozialkritischen Texten und melodischen Gitarrensounds für die passende Stimmung.

Für Stimmung sorgte außerdem die Inszenierung „Teeparty-Poesien in Dosen“ in der Pantoffelwerkstatt, die während des Festivals vier Mal aufgeführt wurde. Die Teeparty entpuppte sich als „Alice im Wunderland“-Hommage und irrer Märchentrip mit Tiefgang. Die skurrile Begrüßung bei der die Besucher von einer Garde traumhaft kostümierter „Figuren“ empfangen wurden gab Rätsel auf, die sich jedoch nach einiger Zeit in Erleuchtung auflösten. Durch poetische Texte und unterschiedlichste, teils völlig überdrehte Darbietungen z.B. von Tierlauten, wurden die Zuschauer mit Hilfe eines Wechselspiels zwischen Entspanntheit wie Genuss und wahnhaft-hektischer Orts- und Szenewechsel, in eine Welt der Ruhe und Phantasie geleitet in der die Hektik des Alltags wie ein Traum wirkte. Wer sich zu Beginn noch fragte, was Teegenuss mit „Alice im Wunderland“ und Tiernachahmung zu tun hatte, merkte bald um was es ging: Genuss und Traum. Zeit und Harmonie sowie Freude an Phantasie. Tee zu trinken bedeutet Ruhe zu finden und abzuschweifen heißt träumen. Die Komplexität der Aufmachung hier gerecht zu erfassen, würde den Rahmen sprengen. Es sei jedoch gesagt, dass unter der Leitung von Lena Tempich (teatr liaison á faire) ein Konzept vorgetragen wurde, dass nicht nur toll gespielt und designt wurde, sondern dem Teetrinken an sich eine ungeheuer tiefgängige und einzigartige Dimensionen verlieh.

Crowd & Rüben - ein Erntedankfest der besonderen Art, Foto: Kevin Vitt

Das letzte Wochenende stand weiterhin ganz im Zeichen des Gaumens. Am Samstag wurden in den Hallen der Stadtwerke zum „Heimspiel“ geladen. Egal ob Wein, Honig, vegane Speisen, Obst und Gemüse, Bücher oder Kleidung – die Stände des Marktes boten eine Vielfalt an regionalen und fair gehandelten Waren. Wer wollte, konnte bei Kaffee oder exotischem Eis auf Polstern und Kissen relaxen. Am Sonntag wurde zum Abschied noch ein besonderes Erntedankfest in der Rotunde gefeiert. „Crowd und Rüben“ so der Titel, unter dem im Rahmen eines Foodsharings zum Essen geladen wurde. Zur Begrifflichkeit: Hier wurden Lebensmittel gesammelt, die eigentlich, unnötigerweise, für den Müll bestimmt waren. Aus Abfällen wurden so leckere Salate „erschnibbelt“, Brötchen mit Dip oder würzige Kartoffelsuppe.

Das Naturfestival erfreut sich weiterhin wachsender Beliebtheit was in erster Linie Engagement des n.a.t.u.r.-Teams um Janwillem Huda zu verdanken ist. Ein weiterer Dank gebührt der Gartenmiliz, die dem grauen Antlitz der Stadt mit öffentlichen Bepflanzungsaktionen rund um die Speckschweiz zu mehr Farbe verhalf.

Kevin Vitt

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