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Merle Fahrholz
Foto: Karl Forster

„Theater ist kein Museum“

28. März 2022

Merle Fahrholz über ihr neues Amt als Intendantin der Aalto-Oper in Essen – Interview 04/22

Seit 2018 ist Merle Fahrholz stellvertretende Intendantin der Oper Dortmund. Nun hat der Aufsichtsrat der Theater und Philharmonie Essen sie einstimmig zur Chefin des Aalto Theaters berufen.

trailer: Guten Tag, Frau Fahrholz, Sie haben Ihren neuen Arbeitsplatz in Essen bereits eingenommen und gleichzeitig kommen in Dortmund gerade Stücke auf die Bühne – wie Fernand Cortez –, an denen Sie noch maßgeblich beteiligt waren. Befinden Sie sich gerade in einer Art Schwebezustand?

Merle Fahrholz: Das sind Produktionen, die eigentlich für einen früheren Zeitpunkt angesetzt waren. Alle Häuser sind momentan dabei einen Produktionsstau abzubauen. Wir haben darüber hinaus im Lockdown weiter gearbeitet, sodass wir in Dortmund einen guten Übergang hinbekommen haben. Ich bin jetzt überwiegend schon in Essen – und in Dortmund nur noch an zwei Festivals beteiligt.

Also gibt es zurzeit noch einen Spagat?

Seit September bin ich in der Übergangsphase, die sich natürlich immer weiter nach Essen verlagert. Ich habe in Essen durchaus schon am Tag eins nach der Ernennung zur Intendantin angefangen. Ich bin in beiden Häusern auf sehr viel Kooperation gestoßen, um diesen Übergang möglich machen zu können. Wobei man sagen muss, dass so etwas bei uns im Theaterbereich üblich ist. Und ich sehe es als großes Glück an, dass das durch die extreme Nähe der beiden Häuser gut möglich ist.

Die kommende Spielzeit in Essen ist ja noch vollständig von Ihrem Vorgänger Hein Mulders geplant worden. Wie langfristig laufen solche Planungsprozesse an einer Oper ab?

In der Oper planen wir mehrere Jahre im Voraus. Wir sind jetzt schon bei der Spielzeit 23/24 in der letzten Planungsphase und sind auch schon dabei, die Spielzeit 24/25 anzudenken. 22/23 ist in der Tat ein besonderer Fall, weil diese Saison viele verschobene Produktionen aus der Corona-Zeit aufnehmen wird. Deshalb gibt es Titel, die bereits angekündigt waren und sich nun, in der kommenden Saison, wiederfinden. Es ist eine Spielzeit, die von Hein Muders komplett vorgeplant wurde. Ich freue mich allerdings sehr darauf, diese Produktionen zu begleiten und betreuen zu dürfen und 23/24 dann in einem nächsten Schritt neu zu starten.

Was bringen Sie aus Dortmund mit nach Essen? Welche Ideen und Konzepte, die in Dortmund gut funktioniert haben?

Ich glaube nicht, dass man so denken darf. Jedes Theater ist in seinem eigenen Umfeld angesiedelt; jedes Theater hat seine eigene Geschichte, seine eigene DNA. Jedes Theater tickt ein bisschen anders. Und ich fände es falsch zu sagen: Ich habe irgendwo eine gute Idee gehabt – sei es in Dortmund, in Mannheim oder irgendwo anders –, und die nehme ich jetzt von Stadt zu Stadt mit. Ich bin der Überzeugung, dass wir an jedem Ort, an dem wir Theater machen wollen, neu anfangen müssen zu denken. Und in den meisten Fällen treffen wir auf ein neues Team, auf andere Menschen mit eigenen Ideen, mit eigenen Erfahrungen. Ich muss die Offenheit mitbringen, herauszufinden, was in dem Haus in den letzten Jahren gelaufen ist. Nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne. Was bestimmt das Haus? Was bestimmt das Haus in Relation zur Stadt? Und das hat sehr, sehr wenig damit zu tun, was in Dortmund passiert.

Sie haben sich schon einmal sehr positiv über das Publikum im Ruhrgebiet geäußert: dass Sie sehr seine Offenheit und Direktheit schätzen. Haben Sie schon einen Unterschied zwischen dem Publikum in Essen und dem in Dortmund entdecken können?

Ja, aber es ist ein Unterschied, der schwer in Wort zu fassen ist. Ich glaube, er hängt damit zusammen, dass diese Häuser sehr unterschiedlich sind und komplett unterschiedliche Traditionen haben. In diesen Traditionen steht das Publikum jeweils anders zu seinen Häusern.

Inwiefern?

Ich würde sagen: In Essen ist es vielleicht sogar das etwas klassischere Opernpublikum, bei dem ich mir auch gut vorstellen kann, es in Düsseldorf zu treffen. Und in Dortmund habe ich das Gefühl, dass es ein Publikum ist, das sehr spezifisch auf sein Haus ausgerichtet ist.

In Dortmund sind fast alle Intendanten recht offen damit umgegangen, dass es ihrer Stadt ein wenig an Bildungsbürgertum mangelt. Ist das in Essen vielleicht anders?

Wenn man zu den Premieren, zu den Wiederaufnahmen und Repertoirevorstellungen kommt und sich im Foyer umsieht, dann kann man zu diesem Eindruck kommen. Ja.

Sie haben gesagt, dass Sie kein Konzept aus Dortmund mitbringen wollen. Aber eine bewährte Einrichtung ja offenbar doch: die Jugendoper und die Arbeit mit Jugendlichen, die der Kultur von Haus aus nicht unbedingt nahestehen.

Das ist ein Anliegen, das mich seit sehr, sehr langer Zeit begleitet – eigentlich seitdem ich professionell am Theater tätig bin. Es ist also nichts Dortmund-Spezifisches. Was wir in Dortmund kreiert haben in den letzten Jahren war beispielsweise ein neues „Junge-Oper“-Ensemble, mit dem in Zusammenarbeit mit einem Composer in Residence eigene Werke erschaffen wurden. Das möchte ich in Essen nicht eins zu eins kopieren. Aber natürlich werden wir im Bereich der Jugendarbeit und der generellen Öffnung sehr aktiv werden. Ich werde mit den Kolleginnen und Kollegen, die teilweise ja schon sehr lange in Essen arbeiten, schauen, welche Programme wir finden – vielleicht mit ähnlichen oder sogar den gleichen Zielen –, die aber doch anders funktionieren.

Aber es lässt sich doch sagen, dass dieser starke Schwerpunkt auf Kinder- und Jugendoper, wie es ihn in Dortmund gibt, bislang in Essen nicht sehr ausgeprägt ist. Und das würden Sie gerne ändern?

Ja. Das ist etwas, für das ich schon seit Jahren stehe. In Essen wird es in absehbarer Zeit allerdings keine eigene Kinder- und Jugendsparte geben wie in Dortmund.

Als einen weiteren Schwerpunkt haben Sie angekündigt, die Werke von Komponistinnen mehr in den Fokus der Programmplanung zu rücken. Sehen Sie das als eine von immer noch eher wenigen Intendantinnen als Ihre Aufgabe an?

Sicherlich hat es etwas damit zu tun. Es kommt allerdings eher aus dem genuinen Interesse heraus, diese Werke, die sehr, sehr spannend sind, die eine hohe Qualität haben, aber denen es trotzdem nicht vergönnt war, es auf die Bühne zu schaffen, wieder hervorzuholen und das Augenmerk darauf zu lenken. Das hat vielleicht eher etwas mit meinem musikwissenschaftlichen Hintergrund zu tun, als dass ich jetzt als Frau diese Position fülle. Es gab in letzter Zeit viele Renaissancen von Stücken vor allem aus dem Barock und ich finde, da gibt es viele Stücke von Komponistinnen, die es einfach verdient haben, wieder auf die Bühne zu kommen. Das sehe ich als ein wichtiges Thema an.

Können Sie da etwas konkreter werden? Oder ist das noch geheim?

Es ist sicherlich ein schwieriger Zeitpunkt, um zu konkret zu werden, aber ich kann sagen, dass es ab 23/24 mindesten eine Oper von einer Komponistin geben wird und ein Sinfoniekonzert mit Werken von Komponistinnen und dass sich das über alle Jahrhunderte erstrecken wird. Es wird Wiederentdeckungen geben – sogenannte Ausgrabungen – aber wir werden auch schauen, welche Komponistinnen heute spannende Sachen machen. Dabei spielt für mich eine wichtige Rolle, dass Musik die Sinnlichkeit anspricht, die Empathie, das Emotionale. Dass Musik auch einen Witz haben soll oder zumindest haben kann. Dass wir gute Musik suchen, steht an erster Stelle, nicht dass sie von einer Frau komponiert sein muss. Also wir suchen nach guten Stücken aus verschiedenen Epochen und möchten diese dann in Kombination im Konzert zu Gehör bringen.

Wenn wir über den Barock reden, müssen das ja zwangsläufig Ausgrabungen sein. Mir fällt spontan keine einzige Komponistin aus dieser Zeit ein.

Ja. Das sind alles überaus selten bis in jüngster Zeit gar nicht mehr gehörte Stücke. So ist der aktuelle Stand unserer Planung. Wir kooperieren bei unserer Recherche sowohl mit dem musikwissenschaftlichen Institut der Universität Wien und dem Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth, als auch mit Musikwissenschaftlern aus Paris. Denn es reicht ja nicht, dass wir solche Stücke finden, wir brauchen auch ausreichend Material, damit wir wissen, wie wir diese Stücke auf die Bühne bringen können. Und wenn wir das gesichtet haben, können wir entscheiden: Lohnt es sich überhaupt, das auf die Bühne zu bringen. An vorderster Stelle stehen immer die Theatralität und der musikalische Wert des Werkes.

Also ist es Ihnen wichtig, dass solche Aufführungen auch musikwissenschaftlich detailliert untermauert werden?

Nein. Da habe ich zwei Positionen: Ich bin Musikwissenschaftlerin, die sich dafür interessiert. Aber ich bin – und diese Position überwiegt dann – vor allen Dingen Intendantin, die schaut, dass wir theatralisch Musiktheater machen, um die Zuschauerinnen und Zuschauer zu berühren. Damit wir Menschen mit unserer Kunstform ergreifen können. Wir wissen ja, dass beispielsweise Rossini seine Arien ausgetauscht hat und sehr frei mit den Werken umgegangen ist. Und eine Oper darf niemals sakrosankt sein, sonst landen wir im Museum. Und das ist ein Theater nun einmal nicht.

Interview: Karsten Mark

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