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Die Historikerin Bea Lundt gab einen Überblick des deutschen Kolonialismus
Foto: Lisa-Marie Davies

Noch lange nicht Geschichte

12. April 2016

Diskussion am 11.4. in Essen zur Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus

„Ich habe vielfach beobachtet, wie verblasst die Erinnerung der deutschen Bevölkerung an die Kolonialzeit ist. Dies steht im Widerspruch dazu, dass diese Zeit in den ehemaligen deutschen Kolonien ihre Spuren hinterlassen hat, die bis heute sichtbar sind“, eröffnete Claus Stäcker die Diskussionsveranstaltung am 11.4. im Café Central in Essen. Der Leiter der Afrika-Programme der Deutschen Welle hat jahrelang als Journalist in Südafrika gearbeitet.

Auch die Historikerin Prof. Bea Lundt hat sich viel mit dem deutschen Kolonialismus beschäftigt und war Gastprofessorin an mehreren Universitäten in westlichen Staaten Afrikas. „Ich war 1972 das erste Mal dort und es hat mich nie losgelassen“, berichtete sie. Seit 2009 begleitet sie Austauschprogramme von Studierenden nach Ghana. Zu Beginn der Diskussion gab Lundt einen kleinen historischen Einblick in die Geschichte des deutschen Kolonialismus und zeigte die Entwicklung von Handelsniederlassungen zu fest verwalteten, besetzten Gebieten.

Gemeinsam mit Lundt diskutierten Hans Lessing, Referent der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, und Dr. Henning Melber von der Dag Hammerskjöld Stiftung Uppsala, der sich der Befreiungsbewegung in Namibia angeschlossen hatte, über die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit. „In Deutschland wird der Kolonialismus immer als ein Stück Geschichte gesehen; in Namibia ist er allerdings alles andere als vergessen, denn dort ist er immer noch Gegenwart“, erklärte Henning Melber. So seien beispielsweise noch rund zwei Drittel aller großen Farmen deutschsprachig. „Für einige Menschen dort fühlt es sich so an, als seien sie immer noch von Kolonisatoren besetzt. Das ist gerade für die Frage nach der Identität schwierig“, betonte er. 

Einen etwas anderen Blick gab der Theologe, Historiker und Missionswissenschaftler Hanns Lessing, der sich kritisch mit der Missionsgeschichte auseinandersetzt. „In afrikanischen Staaten wurden die Missionare als Vorboten des Kolonialismus wahrgenommen“, erklärte er. Gemeinsam mit anderen WissenschaftlerInnen hat er ein Buch geschrieben, das zur Aufarbeitung dienen kann. „Die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) hat sich bisher noch nicht mit dem Thema beschäftigt. Sie hat jetzt aber Anzeichen gegeben, sich dazu zu äußern“, berichtete Lessing.

Ebenso wenig wie die Kirche haben sich viele deutsche Städte mit ihrer kolonialen Vergangenheit auseinandergesetzt. „Die Hamburger Speicherstadt ruht auf dem Reichtum des Kolonialwarenhandels. Das ist bis heute nicht aufgearbeitet“, sagt Bea Lundt wütend. Und auch in Flensburg, wo sie an der Universität arbeitete, sah sie sich immer wieder mit dem Thema konfrontiert. „Flensburg ist durch Rum reich geworden, der aus dem Zuckerrohr hergestellt wurde, der von Sklaven angebaut wurde. Auch hier ist die Aufarbeitung bisher gescheitert.“

Auch die politischen Entscheidungsträger äußerten sich bisher kaum zur Frage, nach der deutschen Verantwortung. Lediglich die ehemalige Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul habe sich 2004 für den Völkermord der Deutschen an den Herero entschuldigt. „1904 wurden rund 60.000 Herero und 20.000–30.000 Nama von den deutschen Besatzern getötet“, ordnete Henning Melber ein.

Doch auch heute noch lassen sich koloniale Gedanken bei der deutschen Bevölkerung finden. So erklärte Lundt, die Blogeinträge von jungen Menschen über ihre Auslandsaufenthalte untersuchte: „Das ist oft einfach nur rassistisch. Es findet sich immer noch die Vorstellung von der überlegenden Kultur, die der Kerngedanke das Kolonialismus des 19. Jahrhunderts ist.“ Auch Henning Melber unterstützte diesen Eindruck: „Wir messen andere Nationen immer nur daran, wie nahe sie uns sind – gerade in Bezug auf die Entwicklung.“ Zum Abschluss der Diskussion forderte er: „Wir müssen uns immer selbstkritisch reflektieren. Denn auch wir sind nicht vor dem kolonialen Blick gefeit.“

In Essen wird die Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialismus demnächst mehr Raum einnehmen. „Gerade ist ein Stadtrundgang zur Kolonialgeschichte vor Ort in Planung“, erklärten die VeranstalterInnen des Vereins von “gesichter-afrikas / Exile-Kulturkoordination”.

Lisa-Marie Davies

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