Angefangen bei einer Pandemie, deren Auswirkungen nach wie vor in vielen Bereichen der Lebens- und Arbeitswelt zu spüren sind, über die immer deutlicher zutage tretende Klimakatastrophe bis hin zu einem Krieg in Europa: Die vergangenen Jahre haben unsere Gesellschaft vor zahlreiche Herausforderungen gestellt – und den Begriff der Krise omnipräsent gemacht.
Der Philosoph, Journalist und Autor Jürgen Wiebicke möchte den sich ausbreitenden chronischen Pessimismus jedoch nicht einfach hinnehmen und zeigt in seinem neu erschienenen Buch „Emotionale Gleichgewichtsstörung“ stattdessen eine Möglichkeit auf, den weit verbreiteten Zukunftsängsten etwas entgegenzusetzen: Denken. Dabei beruft er sich auf große Philosoph:innen wie Sartre, Arendt und Montaigne und analysiert die aktuelle Situation auf dieser Grundlage – nicht umsonst trägt Wiebickes Buch den Untertitel „Kleine Philosophie für verrückte Zeiten“. So plädiert er etwa dafür, Ahnungslosigkeit und Ratlosigkeit nach dem Vorbild Montaignes wieder salonfähig zu machen, statt vorzugeben, grundsätzlich über alles Bescheid zu wissen. Gleichzeitig regt er an, sich mentale Fähigkeiten wie das Bauen einer inneren Schutzburg oder ein proaktives Suchen nach positiven Erfahrungen zu eigen zu machen.
Bereits in seinem im Jahr 2016 veröffentlichten Buch „Zu Fuß durch ein nervöses Land: Auf der Suche nach dem, was uns zusammenhält“ hat sich Jürgen Wiebicke zur Aufgabe gemacht, Stimmungsbilder der Gesellschaft einzufangen, damals während einer sommerlichen Wanderung durch Deutschland. Schon zu diesem Zeitpunkt schreibt er über die Unruhe in der Welt, die er deutlich wahrnimmt – wohlgemerkt Jahre vor Corona und dem Ukrainekrieg. Ist seitdem alles noch viel schlimmer geworden? Wiebicke gibt zu bedenken, dass die zuvor so lange empfundene Sicherheit historisch betrachtet tatsächlich eine Ausnahme darstellt, und bietet Denkanstöße, um bei all der Krisenstimmung das persönliche und kollektive emotionale Gleichgewicht wieder herzustellen. Dabei hebt der Autor die Rolle von Individuen in Zeiten der Krise hervor: Schließlich kann jeder Mensch für sich selbst die Entscheidung treffen, ob er diesen „verrückten Zeiten“ lieber als Zuschauer begegnet oder selber Verantwortung übernimmt.
Jürgen Wiebicke: „Emotionale Gleichgewichtsstörung“ | Do 23.11. 19 Uhr | Literaturhaus Herne Ruhr | literaturhaus-herne-ruhr.de
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