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Helmut Philipps (re.) im Gespräch mit Scientist, einem der wichtigsten Dub-Engineers aus Jamaika
Foto: Alice Peperell

„Die Punks bissen an“

28. Februar 2023

Helmut Philipps über sein Buch „Dub Konferenz“ – Interview 03/23

trailer: Helmut, in „Dub Konferenz“ schreibst Du über die Geschichte des Dub. Wie kommt ein Dortmunder dazu, ein Buch über dieses auf Jamaika entstandene Genre zu schreiben?

Helmut Philipps: Die Faszination für den Reggae ergab sich durch Freundschaften, in denen diese Musik gehört wurde: von Lee Perry oder Scientist. Als Musiker habe ich zudem Platten gemacht, als alles noch analog war. In dieser Zeit merkten wir, dass eine neue Musik aus Jamaika kommt, die im Wesentlichen aus Studioarbeit bestand: Dub. Und das ist auch ein Kennzeichen dieses Genres: Reggae ist eine Studio-, keine Livemusik. Es ist also nicht wie im Rock oder im Jazz, wo man eine Platte produziert, um damit anschließend auf Tournee zu gehen. Jamaikanische Musik ist für Soundsystems gemacht.

Wie kann ich mir diese Entstehung einer Soundsystem-Kultur in Jamaika vorstellen?
Soundsystems sind mobile Discotheken, die am Strand oder an Straßenkreuzungen aufgebaut werden. Am Tag der Unabhängigkeit etwa finden diese sich überall im Land. Das größte Pfund, das man dabei in der Gunst um das Publikum in die Waagschale werfen kann, sind exklusive Titel, die andere nicht haben. Deswegen gingen die Betreiber der Soundsystems zu den Produzenten in den Studios. Dort legten sie bereits existierende Titel vor und fragten nach einemalternativenMix. Zu der Zeit gab es nur die Zwei- oder Vierspurtechnik. Also entschied man sich, an manchen Stellen der Tracks Echos, Schlagzeug oder andere Effekte darauf zu legen. Der Kreativität waren in dieser Hinsicht keine Grenzen gesetzt. Gleichzeitig war es so, dass die Soundsystems mit Live-Performances von sogenannten „Toasters“ einhergingen.Bei diesem Toasting griff man Playbacks von bekannten Nummern auf und rappte dazu. Irgendwann entstandendarausWettwerbe um den besten Dub.

Du skizzierst auch, wie sich der Dub durch Hippies und Punks schnell in Europa verbreitete.
Die jamaikanischen Produzenten merkten,dass man dieseMixeauch regulär veröffentlichen kann – allerdings nicht in Jamaika. Dort kaufte kein Mensch diese Aufnahmen. Aber man konnte sie exportieren, zunächst dorthin, wo sich jamaikanische Exilanten befanden, in New York, aber vor allem nach England. Als Bob Marley ein Popstar wurde, war schnell klar, dass diese Musik auch Weiße interessiert. Und die gingen damit wiederum in englische Studios undkopiertenDub. Ein weiteres Ereignis, das hinzukam: John Peel, der berühmte Radiomoderator, lud in seine Kultsendung prominente Musiker ein, um ihre Lieblingsmusik vorzustellen. Unter anderem war der damals angesagte Frontmann der Sex Pistols Johnny Rotten zu Gast. Und der Großteil seiner mitgebrachten Lieblingsplatten bestand aus Reggae und Dub. Damit waren alle Mauern niedergerissen: Die Punks bissen an und der Dub verkaufte sich auch in Europa in großen Mengen erfolgreich, ohne dass man es in Jamaika mitbekam – mit Ausnahme jener Produzenten, welche die Bänder nach Englandbrachten.

Aber der Einfluss gilt nicht nur für den Punk. Wie wichtig sind die Dub-Elemente denn in musikhistorischer Hinsicht?
Neben den Echos ist das Spiel mit vorgefertigten Musiken das zweite Faszinosum, das nicht auf den Dub beschränkt blieb. Das wurde schließlich mit jeder Musik gemacht. Die Punks waren die ersten, die anfingen, Dub zu machen. Irgendwann kamen Rock-Bands, die diese Technik auch in Anspruch nahmen. Inzwischen gibt es nichts, was nichtverdubbtworden wäre – bis hin zur Klassik. Ohne Dub hätte es auch keinen Remix gegeben.

Doch bereits im Prolog erwähnst Du, dass der ursprüngliche Sinn und Zweck dieses Genres verloren ging.
Das ist ein interessanter Punkt, den ich kulturelle Kalibrierung nenne: Denn dieses Genre besteht immer aus einembereits existierendenTune, aus dem anschließend ein Dub gemacht wird. Es wird zunächst ein Song aufgenommen und sobald dieser fertig ist, kann daraus eine Dub-Version gemacht werden. Wenn man jedoch Musik produziert, in der z.B. von vornherein ordentlich Echos hinzugefügt werden und das Dub nennt, dann ist es was anderes, aber kein Dub. Es besteht also die Gefahr, dass aus einer im Grunde durch die Lautstärke und durch ihre in Jamaika verortete Wirkung sehr aggressiv angelegten Musik eine esoterische Musik wird, die einen Ambient-Charakter oder einen Chillout-Groove erhält. Unser Verständnis von Dub hat dementsprechend wenig mit dem zu tun, was Jamaika wollte.

Helmut Philipps: Dub Konferenz. 50 Jahre Dub aus Jamaika | Strzelecki Books | 320 Seiten | 24,80€

Interview: Benjamin Trilling

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