trailer: Frau Peitz, Herr Peters-Messer, die Wüteriche auf der Straße haben zurzeit Hochkonjunktur. Werden sie jetzt auch museumsfähig?
Linda Peitz: Die Wut wird in der Ausstellung auf unterschiedlichen Ebenen gezeigt. Sie wird von den Künstler*innen beobachtet, sei es der Wutbürger, der durch die Presse geistert und in der Kunst widergespiegelt wird. Andererseits sind da auch die Künstler*innen, die über die aktuellen Zustände wütend sind.
Florian Peters-Messer: Man kann auf die Frage mit ja und nein antworten. Es gibt ja, wenn man das vereinfacht, zwei Gruppen von wütenden Menschen. Auf der einen Seite die Wutbürger, die populistisch sind, eher einem rechten oder linken Flügel zuzuordnen sind, dort gibt es Verschwörungstheoretiker und Menschen, die auch demokratische Systeme in Frage stellen, aber auf der anderen Seite gibt es wütende Menschen – ob das die Black-Lives-Matter-Bewegung ist oder Fridays for Future – diese gesellschaftlichen Bewegungen entwickeln auch Zorn. Diese beiden wütenden Seiten werden in der Ausstellung sichtbar gemacht und reflektiert.
Also ist die Ausstellung in unterschiedliche Themenblöcke unterteilt?
FPM: Es gibt Themen, die wir im Wesentlichen anpacken wollen. Das Thema Feminismus wird aufgegriffen, Homophobie wird aufgegriffen, die Verarbeitung postkolonialen Erbes wird aufgegriffen…
LP: …Klimawandel. Kapitalismuskritik, Krieg im weitesten Sinne…
FPM: …und das Verhältnis von Mensch und Medien. Wie verändert sich die Wahrnehmung in Bezug auf soziale Medien. Es sind also sehr viele Themen, die wir anfassen.
Wie choreografiert man denn 40 Künstler?
LP: Das ist gar nicht so einfach. So wie die Ausstellung auch auf einem Gefühl, dem der Wut beruht, funktioniert das auch gut in diese Richtung. Es gibt keine Chronologie – es ist mehr ein Blick auf einen Jetztzustand, der sehr emotional ist. Es geht darum insgesamt eine Atmosphäre zu schaffen. Es gibt keine Kapitel, sondern die Werke kommunizieren untereinander, miteinander auf eine bestimmte Art und Weise und schaffen ein Gesamtbild.
Also auch keine Sortierung nach Technik oder Medien?
LP: Es gibt tatsächlich ein Kino und zwei Räume mit Mehrkanal-Videoinstallationen. Ansonsten ist die Ausstellung aber stark durchmischt. Das ist das Schöne daran, wie die Werke miteinander umgehen.
FPM: Sie sind aber auch auf eine ästhetische Abstimmung ausgerichtet.
LP: Ohne ermüdend zu sein. Die Vielfalt in den Medien macht es spannend, es sind weniger klassische Formate wie Malerei zu sehen, dafür gibt es viele installative Arbeiten, Skulptur, viel Video.
Das Grundmotiv für Widerstand ist Empörung. Wird die denn dann auch gezeigt?
LP: Ja. Die Arbeit „Primal Speech“ von Liz Magic Laser ist hier ein sehr passendes Beispiel, weil sie sich psychologisch mit dem Empörungs- und Wut-Thema befasst. Die Videokünstlerin setzt sich in dieser Arbeit mit einem Therapiemodell des Psychologen Arthur Janov auseinander. Der US-Amerikaner hat eine Therapieform entwickelt, die auf einer Art Urschrei basiert. Die war in den 1970er Jahren sehr beliebt. Liz Magic Laser hat daraufhin Schauspieler eingeladen, dieses Modell anzuwenden. Die sind in einem gepolsterten Raum und liegen auf einer Couch, ganz therapiemäßig, und werden dann angeleitet, über die Themen, die sie emotional berühren, sich zu empören und auszulassen und in ein Schreien überzugehen, der Wut Ausdruck zu verleihen. Da geht es viel um politische Themen wie Trump oder Brexit.
FPM: Obwohl das Schauspieler sind, sieht man Menschen, wie sie in der Therapiesituation langsam wütend werden, sich wahnsinnig aufregen, Schweißausbrüche bekommen. Da werden Wut und Empörung wirklich sichtbar.
Und wer wütet am meisten in der Ausstellung?
FPM: Oh, das ist eine gute Frage.
LP: Jeder auf seine eigene Art. Thomas Hirschhorn wütet schon sehr sehr gut.
FPM: Der ist auch einer der ältesten unter den Künstler*innen. Aber ja, er wütet schon ziemlich.
Womit ist er denn in der Ausstellung vertreten?
FPM: Seine große collagierte Papierarbeit mit dem Titel „The Price of Suspicion“ zeigt beispielweise wie Informationen aufgesext werden, um politisch instrumentalisiert zu werden. Da sind nackte Frauen zu sehen und gleichzeitig aufgrund von Kriegshandlungen furchtbar zerstückelte Menschen, Leichenteile. Und es wird sein„Arch“gezeigt, das ist ein sehr großer Rahmen, wo viele einzelne Holzteile draufgeschraubt sind, auch mit sehr brutalen und furchtbaren Bildern von verwundeten Menschen und Leichen. Auch da geht es um Kriegskritik.
Was unterscheidet die Künstler denn anhand ihrer Geburtsjahre? Gibt es da einen generationellen Unterschied im Umgang mit Wut?
LP: Es gibt einen Unterschied im Gebrauch der Medien. Eine jüngere Künstlerin, Signe Pierce, ist zum Beispiel dem Digitalen sehr verhaftet. Sie arbeitet auf Instagram. Das ist nochmal eine andere Art, das zu verhandeln und zu untersuchen, was eigentlich passiert, wie beeinflusst wird, gesellschaftliche Thematiken oder die Rolle der Frau. Das finde ich spannend, wie sich das zeitgemäß anpasst. Und das hat auch eine extreme Ästhetik, die ist poppig, die ist an Instagram angepasst. Das ist etwas anderes als die Arbeit von Thomas Hirschhorn.
Gibt es auch interaktive Arbeiten?
FPM: Eine Arbeit, die für mich in dieser Hinsicht heraussticht, ist vom japanischen Künstler Yoshinori Niwa. Er baut vor der Museumstür einen Container auf, einen schwarzen Altkleidercontainer, auf dem dazu aufgerufen wird, alte Nazi-Devotionalien zu entsorgen. Dafür werden auch Zeitungsanzeigen geschaltet und der Künstler wird die Reaktion von Besucher*innen mit Video dokumentieren. In regelmäßigen Abständen wird der Inhalt entsorgt und professionell vernichtet. Es ist schon sehr provokant, ein solches Objekt einfach vor die Tür des Museums zu stellen, und wir erwarten durchaus empörte Reaktionen.
Ob da überhaupt was abgeliefert wird?
FPM: Diese Arbeit ist beim Steirischen Herbst in Graz ausgestellt gewesen. Da sind tatsächlich Gegenstände abgeliefert worden. Es ist kein großer Trubel, der da stattfindet. Aber Besucher*innen oder Menschen, die das in der Zeitung lesen, können sich mit dem Künstler in Verbindung setzen und darüber austauschen. Ich denke, er wird da durchaus auch Kritik herausfordern. Aber es geht ja um die Reflexion über die deutsche Vergangenheit – ein immer noch brisantes Thema.
Empört Euch!– Kunst im Zeichen des Zorns | 29.10. - 10.1. Wiedereröffnung am 1.12. | Kunstpalast Düsseldorf | www.kunstpalast.de
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